top of page

Werden wir von unseren Opfern lernen: von Menschen im Gazastreifen, von dem Journalisten, der brannte, um die Wahrheit ans Licht zu bringen, von dem Sanitäter, der sein Leben gab, um andere zu retten?

Diesen Kommentar hat Tamer Nafar für seine Landsleute verfasst. Doch auch wir setzen den Kriegsverbrechen in Gaza nichts entgegen. Deshalb sind wir ebenfalls angesprochen.


Das Video eines israelischen Luftwaffenjets, der ein Gebäude in Gaza bombardiert, aus dem Menschen in die Luft fliegen,



wirkt wie ein verdrehtes Echo von Richard Drews "Falling Man"-Foto von 9/11. Nur dass es hier andersherum ist: Ein paar Menschen aus dem Gazastreifen erheben sich in den Himmel ... bevor sie wirklich aufsteigen.


Sie schweben – über den Trümmern, über dem Rauch – aber nicht hoch genug, um das Flugzeug zu berühren, das bereits zur Basis zurückkehrte. Der Pilot hat dann wohl geduscht, ist nach Hause gekommen und wandelt nun unter uns – als ob er kein Mörder wäre.

Ich habe mir auch das Video angesehen, in dem palästinensische Sanitäter mit heulenden Sirenen in einem Konvoi von Krankenwagen durch die Gegend rasen, nur um Leichen zu finden. Dann steigen sie aus und stellen fest, dass es eine Falle war. Ein Hinterhalt der Israelischen Armee. Langanhaltender Beschuss.



Prüfen Sie den Zeitstempel

Erschütterndes Filmmaterial. Der gefilmte Sanitäter rezitiert die Schahada, bittet Gott um Vergebung, bittet seine Mutter um Vergebung – dafür, dass er einen Beruf gewählt hat, der das Leben selbst im Angesicht des Todes heiligt. Er und 14 andere Sanitäter – sie alle sind jetzt in einem Massengrab begraben, das von ihren Söhnen ausgehoben wurde.


Prüfen Sie den Zeitstempel. Prüfen Sie das Datum des Kriegsverbrechens. Vielleicht haben die Soldaten danach einen Smiley in den Gruppenchat der Familie geschickt. Vielleicht haben sie die Geburt einer neuen Nichte gefeiert.

Anzusehen, wie ein Journalist vor laufender Kamera verbrennt. Er sitzt still da, schreit nicht – als ob all seine Schreie schon bei den 50.000 Toten verbraucht worden wären. Er schmilzt wie eine Kerze – langsam –, um den Weg für andere zu erleuchten.

Und dann der Wechsel zu den israelischen Medien, wo man nur klimatisierte Räume voller feiger Gesichter vorfindet, die einen bei perfekter Beleuchtung anlügen.


Lügen bei perfekter Beleuchtung

Das schöne Gesicht eines 17-jährigen Jungen anzusehen – verhaftet von der Israelischen Armee, im Gefängnis ausgehungert, zu Tode geprügelt von Wachen. Niemand denkt auch nur eine Sekunde daran, dass dies zu Racheakten gegen israelische Geiseln führen könnte.


In einem Land, in dem Palästinenser zu sein bedeutet, zum Tode verurteilt zu sein – nicht als Mensch anerkannt zu sein, würden viele Leute sicher lange zögern, wenn sie die Wahl hätten, einen Palästinenser zu töten oder eine jüdische Geisel zu retten. Und Netanyahu hat es zu offizieller Politik erklärt, dass tote Palästinenser wichtiger sind als lebende israelische Geiseln.

Wenn man all dies sieht - und dann die "Just Not Bibi"-Proteste betrachtet, kommen einem Fragen: Wo sind die Proteste vor den Gefängnissen? Wo ist die Forderung nach Verhaftungen? Für Ermittlungen? Für aktuelle Informationen über Bedingungen der Gefangenen?


Keine Alarmglocken

Als der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag mit der Untersuchung von Kriegsverbrechen begann, schrillten bei uns keine Alarmglocken. Die Regierung sah darin lediglich eine Show.

Die verrückte Rechte hat die Gefängnisse fast zerlegt. Beängstigend? Ja. Aber zumindest haben sie sich voll und ganz ihrer Ideologie verschrieben.

Und was hat die verwirrte Linke getan? Sie hat – wie immer – gestottert, denn dazu ist sie geboren.

Ihr müsst noch viel von euren Opfern lernen: von den Menschen im Gazastreifen, von dem Journalisten, der brannte, um die Wahrheit ans Licht zu bringen, von dem Sanitäter, der sein Leben gab, um andere zu retten. Solange ihr euch weigert, sie – und ihre Wirklichkeit – anzuerkennen, habt ihr kein Recht, für euch selbst eine andere zu fordern.


Ihr verdient nur Bibi

Ein Land, das nicht davon aufgewühlt wird, wenn seine Armee und seine Regierung für 50.000 Tote verantwortlich sind, verdient keine neue Regierung für seine eigene bessere Zukunft. Krankenhäuser, die nicht aus Protest gegen das Massaker an Sanitätern gestreikt haben, verdienen es nicht, für eine bessere Gesundheitsversorgung zu kämpfen. Journalisten, die nicht jede Plattform nutzen, um die Geschichte eines bei lebendigem Leibe verbrannten Kollegen zu erzählen, verdienen keine Pressefreiheit.

An alle "Jeder außer Bibi" - Demonstranten: Ihr verdient nur Bibi. Und nichts anderes als Bibi.

Tamer Nafar ist ein palästinensischer Rapper, Schauspieler, Drehbuchautor und Aktivist mit israelischer Staatsbürgerschaft. Nafar wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Lod auf, einer arabisch-israelischen Stadt in Israel, die unter Drogenschmuggel und Kriminalität leidet.


2016 spielte Nafar als Hauptdarsteller in dem halb-autobiografischen Spielfilm Junction 48, der bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde.

Tamer Nafar ist außer auf YouTube auch auf Instagram, Facebook und X sowie auf Spotify zu finden.


Kristin Helberg: Nie wieder ist jetzt in Gaza! Erst wenn wir Deutschen unsere historische Schuld als individuelle Verantwortung begreifen, können wir helfen, Völkermorde zu verhindern oder zu beenden!

Kommentare


bottom of page