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21. und 22. April 1945: Die Schlacht um Berlin geht in ihre Endphase

Berliner Zeitung: Bei dieser historischen Rekonstruktion der letzten Phase des Zweiten Weltkriegs, von Ingar Solty verfasst, handelt es sich um eine vierteilige Reihe. Dies ist der dritte Teil.

8. Mai 1945, Berlin, sowjetische Panzer: nach Tagen heftiger Kämpfe kapitulierte die deutsche Armee© World History Archive/imago
8. Mai 1945, Berlin, sowjetische Panzer: nach Tagen heftiger Kämpfe kapitulierte die deutsche Armee© World History Archive/imago

Es ist der 21. April 1945 und die Schlacht um Berlin erreicht die Innenstadtbezirke. Der „Völkische Beobachter“ lügt noch am selben Tag, dass „in der Zeit von 9 bis 16 Uhr ein Übungsschießen einer Flakbatterie im Norden Berlins“ stattfinden werde. Als dann um 11.30 Uhr Artilleriefeuer russischer Kanonen bereits den Hermannplatz in Neukölln und damit erstmalig Innenstadtboden erreicht, löst dies eine Massenpanik aus. Am Ende des Tages ist der Ring um Berlin fest geschlossen. „Angenagelt zwischen Müggelsee und Havel, zwischen den sandigen Heideflächen des Barnim im Norden und den Kiefernwäldern des Teltow im Süden“, schreibt später der Kriegsschriftsteller Theodor Plivier, „blieben Million Frauen und Männer und Kinder und warteten auf die Sintflut.“


Am Folgetag, als im Telegrafenamt in der Oranienburger Straße das letzte Telegramm eintrifft (aus Tokio: „Viel Glück für euch alle“), erklärt Goebbels, dass „alle, die weiße Fahnen hissen, erschossen werden“. Am Abend desselben Tages wird im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt noch einmal die „Zauberflöte“ aufgeführt, während die Ostfrontlinie durch das Vorrücken der Roten Armee nun mittlerweile bereits entlang der Linie Lichtenberg – Niederschönhausen – Frohnau verläuft. Die Innenstadtbezirke werden nun unter direkten Dauerbeschuss genommen, erwidert mit Dauerfeuer vom Flakturm im Friedrichshain. „Fontänen aus Pflastersteinen, aus Asphaltstücken, aus Dreck stiegen aus den Berliner Straßen auf. Schwere Granaten aus Fernkampfgeschützen rissen Breschen in ganze Häuserfluchten. Die Bevölkerung saß in den Kellern mit Koffern und Betten und ihrer ganzen Habe und konnte die Keller eigentlich nicht verlassen und mußte es doch tun, und wenn schon zu keinem anderen Zweck, als um Wasser zu holen. Man konnte das Leben riskieren, aber ohne Wasser konnte man nicht leben“, schreibt Plivier. Einen Tag später schiebt sich die Front im Osten nach Friedrichshain vor.


(..) Mit vielen antifaschistischen Widerstandskämpfern, die aus ihren Keller- und Laubenkolonieverstecken auftauchen, kommt es zu Verbrüderungsszenen. In Arbeiterbezirken, wie dem Wedding, macht die Rote Armee sehr schnelle Vorstöße, weil die Bevölkerung sich sicher genug fühlt, weiß und vielfach rot zu flaggen. Andernorts gelingt es deutschen kommunistischen Widerstandskämpfern in der Verkleidung von Wehrmachts- und SS-Uniformen, ganze Truppenteile zu entwaffnen oder zur Kapitulation zu bringen und außerdem Munitionsdepots zu sprengen, hohe SS-Funktionäre aus dem Reichssicherheitshauptamt in die Falle zu locken und zu erschießen und die Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen. Eine von diesen Gruppen ist die „Kampfgruppe Osthafen“, die, wie Heinz Müller in „Kampftage in Berlin“ beschreibt, aus Wohnungen in der Simon-Dach-Straße 32 und der Boxhagener Straße 22 heraus agiert. Manche der Antifaschisten bezahlen diese gefährliche Mission noch in den letzten Kriegstagen mit dem Leben.

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Der Widerstand ist unterschiedlich intensiv. Die SS-Verbände, die die Parole „Pardon wird nicht gegeben!“ ausgeben, sind die einzigen, die gut ausgerüstet sind und erbitterten Widerstand leisten. Die Zivilbevölkerung wird auf dem Altar des Faschismus geopfert. „Als der Friedrichshain Kampfgebiet und die Schultheiss-Patzenhofer-Brauerei in der Landsberger Allee Ecke Tilsiter Straße (heute Richard-Sorge-Straße) verteidigt wird“, schildert Rein eine vielfach bezeugte, besonders scheußliche Episode aus der Schlacht um Berlin, „wird – um das Leben der Zivilbevölkerung zu schonen – von den Russen die Räumung des Viertels zwischen Friedrichshain und Zentralviehhof befohlen. Tausende entsteigen den dunklen Katakomben (…). Durch die Landsberger Allee und Landsberger Chaussee zieht der endlose Zug der Flüchtlinge ostwärts, mit Kinderwagen, kleinen Transportkarren, Leiterwagen, Greise und Greisinnen an Stöcken, Beinamputierte in Selbstfahrern, Kinder auf den Armen und an den Händen der Mütter, abgezehrte, verhärmte, übermüdete Menschen, ausgebrannt von Angst, geschüttelt von Entsetzen, aber bewegt von dem Willen zum Leben. Sie alle begeben sich in den Schutz der russischen Etappe, um sich vor den Granaten der eigenen Landsleute in Sicherheit zu bringen (…). – Die Landsberger Chaussee ist eine breite Straße, sie stößt zwischen Lauben, Gärten, Feldern und Neubausiedlungen aus der Enge der Stadt ins offene Land hinaus. Nicht nur die Flüchtlinge sind auf ihr, auf der nördlichen Straßenseite rollt der Nachschub der russischen Armee stadteinwärts (…). So wälzen sich zwei Ströme durch die Landsberger Chaussee, ostwärts die Frauen, Greise und Kinder des geschlagenen, westwärts die Söhne des siegreichen Volkes. – Da tönt von irgendwo, noch von weit her, ein Brummen, es klingt, als sei ein Schwarm von Bienen unterwegs, aber das Geräusch schwillt unheimlich schnell an, wird zum Dröhnen und Donnern. Die Menschen auf der Straße blicken verwundert auf den anfliegenden Verband, zehn, zwölf, fünfzehn, zwanzig Maschinen scheinen es zu sein, sie halten geraden Kurs auf die Straße … Russische Flugzeuge, die vom Fronteinsatz zurückkehren? Nein, das sind deutsche Maschinen vom Typ Ju 87, sie wachsen riesengroß heran, die schwarzen Kreuze auf den Tragflächen sind schon zu erkennen. Die Flüchtlinge ziehen unbekümmert weiter. Was haben sie von deutschen Flugzeugen zu befürchten? Da geschieht das Unerwartete, Unwahrscheinliche, Unglaubliche – die deutschen Sturzkampfflugzeuge stürzen sich mit aufheulenden Motoren auf den Nachschub der Russen, es kümmert sie nicht, daß auf der gleichen Straße Zehntausende von deutschen Menschen in die Zone des Hinterlandes ziehen. Das Angriffsziel wird befehlsgemäß angeflogen und bombardiert. Immer wieder stürzen sich die Stukas auf die Straße, ziehen die Maschinen singend in die Höhe und stoßen wieder wie gierige Raubvögel herab. Als sie abfliegen, bleiben an den Rändern der Landsberger Chaussee Hunderte von Toten und Verletzten zurück, deutsche Menschen, niedergemetzelt von deutschen Fliegern mit deutschen Bomben und deutschen Bordkanonen (…)“.

Stalin hat Wert darauf gelegt, Berlin am 1. Mai, zum symbolträchtigen internationalen Kampftag der Arbeiterklasse, zu erobern. Er ist auch getrieben von der Angst, dass sich die Berichte über Verhandlungen zwischen Hitler und den Westalliierten und gar einem gemeinsamen Krieg gegen die Sowjetunion bewahrheiten könnten. Viele Rotarmisten bezahlen dies mit dem Tod. In Teilen Berlins wird jedoch trotzdem noch am 2. Mai gekämpft, u.a. rund um die Flaktürme im Friedrichshain, die erst im Mai 1946 gesprengt werden sollen und seither unter dem Großen und Kleinen Bunkerberg („Mont Klamott“ und „Hoher Schrott“) begraben liegen, als solche 1968 von Wolf Biermann und 1983 von Tamara Danz mit der Band Silly besungen. Viele Flakhelfer sind dabei minderjährig, nicht wenige von ihnen Mädchen. Zuletzt wird auch in der Kulturbrauerei im Prenzlauer Berg noch gekämpft, wo sich die SS-Einheiten in den Kellerräumen verschanzt haben. In der Nacht vom 8. zum 9. Mai unterzeichnen aber schließlich Generalfeldmarschall Keitel für die Wehrmacht, Generaladmiral von Friedeburg für die Kriegsmarine und Generaloberst Stumpff für die Luftwaffe in Karlshorst die Kapitulationserklärung. Daran erinnern wird später das „Deutsch-Russische Museum“, das aber 2022 nach Beginn des Ukrainekriegs in „Museum Berlin-Karlshorst“ umbenannt werden wird.

Die Zivilbevölkerung zahlt für die Schlacht um Berlin einen hohen Preis. Aus Sorge um Racheaktionen seitens der russischen, ukrainischen, belarussischen usw. Soldaten für das durch den deutschen Vernichtungskrieg im Osten erlittene Leid erlässt der sowjetische Marschall Rokossowski den Befehl, dass Plünderungen und Vergewaltigungen mit Kriegsrecht oder unverzüglicher Erschießung zu ahnden seien. Wie Miriam Gebhardt in „Als die Soldaten kamen“ aufgearbeitet hat, kommt es auch zu zahlreichen standrechtlichen Erschießungen und später dann Gerichtsurteilen zu fünfjähriger Lagerhaft. Auch berichten viele, so wie Ursula Spaltowsky in ihrem Tagebuch, von ihrer Überraschung, wie wenig die sowjetischen Soldaten dem Bild der „Menschenfresser“ entsprachen, das man von ihnen gezeichnet hatte. Trotzdem sollen nach der Befreiung von Berlin bis zu 100.000 Frauen vergewaltigt worden sein, wie Helke Sander und Barbara Johr in ihrem Buch „BeFreier und Befreite“ schätzen. „Die Faktoren, die sexuelle Gewalt begünstigen“, schreibt Gebhardt, „waren offensichtlich stärker als die abschreckenden oder disziplinierenden Maßnahmen.“





 
 
 

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