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Angesichts der möglichen Erlaubnis westlicher Länder an Kiew, Ziele in Russland mit westlichen Langstreckenwaffen anzugreifen, wird in Russland die Forderung nach einem atomaren Präventivschlag lauter

Anti-Spiegel: Änderung der Atomdoktrin

Ein einflussreicher russischer Experte hat vor dem Hintergrund der wahrscheinlichen Erlaubnis westlicher Länder an Kiew, Ziele in Russland mit westlichen Langstreckenwaffen anzugreifen, gefordert, nukleare Präventivschläge gegen NATO-Länder zu führen.


von Anti-Spiegel

12. September 2024 22:28 Uhr

Ich habe schon öfter über Professor Karaganow berichtet (siehe hier oder hier), der seit 2023 fordert, Russland solle Atomwaffen gegen NATO-Staaten einsetzen. Karaganow ist nicht irgendein Spinner, sondern ein in Russland sehr einflussreicher Experte.

Seine Argumentation ist, dass Russlands nukleare Abschreckung wirkungslos ist, weil Russland es dem Westen gestattet hat, in der Ukraine eine „rote Linie“ Russlands nach der anderen ungestraft zu übertreten. Der Westen habe die Angst vor einem Atomkrieg verloren und eskaliere in der Ukraine daher immer weiter. Das allerdings werde irgendwann zwangsläufig dazu führen, dass es zum großen Atomkrieg kommt, so Karaganow. Daher plädiert er dafür, dem Westen mit einem begrenzten Atomschlag zu zeigen, dass Russland es ernst meint.

In der Sache hat Karaganow meiner Meinung nach nicht Unrecht, denn Russlands Geduld gibt dem Westen tatsächlich ein Gefühl der Straffreiheit. Im Spiegel hat eine der radikalsten anti-russischen Propagandisten der Spiegel-Redaktion vor einigen Tagen beispielsweise einen Artikel mit der Überschrift „Krieg in der Ukraine – Putins Schauermärchen von den roten Linien“ veröffentlicht, in dem sie de facto gefordert hat, alle Beschränkungen für die Ukraine aufzuheben und ihr alle Waffen zu liefern, die sie braucht, um ganz Russland mit Krieg zu überziehen.

Solche Artikel und Forderungen sind eine Folge von Russlands Geduld, die der Westen als Schwäche auslegt.

Allerdings ist das ein Trugschluss. Russland hat von 2014 bis 2022 geduldig über einen Frieden in der Ukraine verhandelt, was der Westen als Schwäche ausgelegt hat. Als der Westen daraufhin die Ukraine in die NATO holen wollte, hat man Putins deutliche Warnungen vom Dezember 2021 im Westen nicht mehr ernst genommen und so kam es zur Eskalation vom Februar 2022, als Russland keine andere Möglichkeit mehr gesehen hat, als seine Sicherheit mit Gewalt zu schützen.

So ist es auch mit den Eskalationsschritten des Westens in der Ukraine. Von Erste-Hilfe-Kästen und Helmen im März 2022, als der Westen noch Angst vor einer russischen Reaktion hatte, sind wir inzwischen bei Lieferungen von schweren Panzern, Marschflugkörpern und Kampfjets an Kiew angekommen, weil der Westen seine Angst vor Russland verloren hat.

Aber auch hier gilt, dass zwangsläufig der Tag kommen muss, an dem Russland keine andere Möglichkeit mehr sieht, als mit Angriffen auf NATO-Länder zu reagieren, wenn die Eskalationsschritte des Westens ein Ausmaß annehmen, das Russland als existenzgefährdend ansieht.

Davor warnt Karaganow, weil man dann bereits beim „großen Atomkrieg“ wäre. Daher plädiert er für einen Präventivschlag gegen ein NATO-Land, um den Westen „aufzuwecken“ und zur Vernunft zu bringen, bevor es zu spät ist. Diese Argumentation muss man nicht teilen, aber man kann sie auch nicht völlig von der Hand weisen.

Russland überarbeitet übrigens gerade seine Atomdoktrin und es wird erwartet, dass Russland seine Hemmschwelle für den Einsatz von Atomwaffen vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen deutlich senken wird. Aus diesem Grund hat die russische Zeitung Kommersant Karaganow interviewt und ich habe das Interview übersetzt, um dem deutschen Publikum seine Argumentation und den Stand der Diskussionen in Russland zu dem Thema zu zeigen.

Beginn der Übersetzung:

„Die derzeitige Nukleardoktrin erfüllt die Funktion der Abschreckung nicht“

Der Politologe Sergej Karaganow über die Änderung der russischen Politik in Bezug auf den Einsatz von Atomwaffen

Die Arbeiten zur Aktualisierung der russischen Nukleardoktrin („Die Grundlagen der Staatspolitik der Russischen Föderation im Bereich der nuklearen Abschreckung“) sind nach Angaben russischer Beamter weit fortgeschritten. Sergej Karaganow, ein bekannter Politikwissenschaftler, Ehrenvorsitzender des Präsidiums des Rates für Außen- und Verteidigungspolitik und wissenschaftlicher Direktor des Lehrstuhls für Weltwirtschaft und Weltpolitik an der Wirtschaftshochschule, ist einer derer, die aktiv Änderungen an diesem Dokument fordern. In einem Interview mit der Kommersant-Korrespondentin Jelena Tschernenko erläuterte er seine Vorstellungen von einer neuen Doktrin.

Sie setzen sich seit langem für eine Änderung der russischen Nukleardoktrin ein und haben eigene Vorschläge unterbreitet. Wie wird die neue Doktrin Ihrer Meinung nach aussehen?

Natürlich weiß ich nicht, welche Formulierungen in der endgültigen Fassung des Dokuments enthalten sein werden. Aber ich kann einige meiner Vorschläge nennen.

Zunächst möchte ich jedoch sagen, dass die derzeitige Doktrin und Politik in Bezug auf den Einsatz von Atomwaffen einfach unverantwortlich ist. Es ist, als ob sie in den 1960er und 1970er Jahren stehengeblieben wären. Ich habe nie herausfinden können, wie sie entstanden sind. Mit dieser Doktrin wird das mächtigste Instrument unserer Militär- und Außenpolitik zu 99,9 Prozent aus dem Arsenal gestrichen. Das ist nicht nur falsch, sondern höchst unmoralisch. Für dieses Instrument unserer Politik, für den nuklearen Schutzschild, sind seinerzeit Millionen von Menschen gestorben. Das ist eine gewaltige Geschichte von Heldentum und Selbstlosigkeit während des Krieges, der Hungersnot und des schwersten Wiederaufbaus. Aber wir haben plötzlich beschlossen, sie zu vergessen. Und ich wiederhole, ich verstehe nicht einmal ganz, wie das geschehen konnte. Ich habe Vermutungen, aber ich möchte diese Vermutungen nicht mitteilen, weil sie für unsere Fachleute und andere Gemeinschaften unangenehm sind.

Es ist an der Zeit zu erklären, dass wir das Recht haben, auf jeden massiven Angriff auf unser Territorium mit einem Atomschlag zu antworten. Das gilt auch für jede Inbesitznahme unseres Territoriums.

Gleichzeitig sollten wir (in der Doktrin) das Konzept der „nuklearen Eskalation“ einführen, so dass solchen Schritten Schritte vorausgehen, die einen bedingten oder realen Feind davon überzeugen würden, dass wir bereit sind, (Atomwaffen einzusetzen).

Das wichtigste Ziel der Doktrin muss darin bestehen, alle derzeitigen und künftigen Gegner davon zu überzeugen, dass Russland zum Einsatz von Kernwaffen bereit ist. Das ist nicht nur unsere Pflicht gegenüber unserem Land und unseren Bürgern, die jetzt an den Fronten und sogar in den Städten sterben, sondern auch gegenüber der Welt. Wenn wir die nukleare Abschreckung nicht reaktivieren, wird die Welt in eine Reihe von Kriegen verwickelt, die unweigerlich nuklear werden und im Dritten Weltkrieg enden. Das ist eine Frage von ein paar Jahren. Russlands Aufgabe ist es, den nuklearen Faktor in der Weltpolitik deutlich zu verstärken und unsere Gegner davon zu überzeugen, dass wir bereit sind, im Falle eines Übergriffs auf unser Territorium und unsere Bürger Atomwaffen einzusetzen. Zu solchen Veränderung habe ich ein wenig beigetragen.

Sie sagen, dass die derzeitige Nukleardoktrin auf den Postulaten des letzten Jahrhunderts beruht, aber der aktuelle Präsidialerlass „Über die Grundlagen der Staatspolitik auf dem Gebiet der nuklearen Abschreckung“ ist erst vier Jahre alt, er wurde 2020 unterzeichnet…

Ich halte dieses Dokument für ungeheuerlich veraltet, weil es auf den Grundsätzen und Schimären des letzten Jahrhunderts beruht, die oft nicht einmal unsere sind. Ich mache mir Vorwürfe, weil ich mich nicht öffentlich empört habe, als dieses Dokument herauskam, sondern meine Meinung nur in einem engen Kreis von Experten geäußert habe. Das ist Gott weiß was, aber keine Doktrin. Sie wurzelt in Illusionen, die aus den Realitäten des letzten Jahrhunderts übernommen wurden, sowie in der natürlichen Ablehnung von Atomwaffen. Das ist ein normaler menschlicher Charakterzug. Wer könnte ihren Einsatz auch wollen?

Ich hoffe, niemand.

In dieser Hinsicht kann ich Sie und andere, die so denken, mehr als verstehen. Das Problem ist, dass Pazifisten nur leben, weil andere für sie kämpfen. Im Moment kämpfen Männer für sie und sterben zu Zehntausenden auf den Feldern, und wenn das so weitergeht, werden sie auch in unseren Städten sterben, weil der Krieg eskalieren wird. Und/oder wir werden uns weiterhin an der sogenannten Kontaktlinie ausbluten lassen, enorme Ressourcen aufwenden und mit 50 Ländern konkurrieren, deren Wirtschaft der unseren um ein Vielfaches überlegen ist. Beides wird das Land, das endlich ein gewisses Maß an Wohlstand und Komfort erreicht hat, in den Niedergang und möglicherweise sogar in den Zerfall führen.

Die aktuelle Militärdoktrin aus dem Jahr 2010 sieht zwei Szenarien vor, in denen die russische Regierung Atomwaffen einsetzen könnte, während die „Grundlagen der Staatspolitik im Bereich der nuklearen Abschreckung“ für 2020 vier Szenarien vorsehen. Was bedeutet die Einführung zusätzlicher Szenarien in den Doktrin für die Praxis?

Sie wird unser Militär dazu verpflichten, sich auf solche Schläge vorzubereiten. Die „Bedrohung der Existenz des Staates“ (das vierte Szenario, bei dem die russische Regierung demnach Atomwaffen einsetzen kann) ist ein so flüchtiges Szenario, dass man nicht einmal ernsthaft darüber sprechen möchte. Meiner Meinung nach ist es eine Verhöhnung des gesunden Menschenverstandes.

Unsere derzeitige Doktrin erfüllt nicht die Funktion der Abschreckung und verhindert den Einsatz vieler anderer nützlicher Funktionen von Atomwaffen. Wir haben es so weit gebracht, dass die Gegner glauben, dass wir Atomwaffen unter fast keinen Umständen einsetzen werden. Als wir vor eineinhalb Jahren begannen, über die Notwendigkeit einer Verschärfung unserer Nukleardoktrin zu sprechen, und ich kann sagen, dass ich aktiv zu dieser Diskussion beigetragen habe, wurde es still. Plötzlich erschien in amerikanischen Publikationen ein Artikel nach dem anderen über die Notwendigkeit, eine nukleare Eskalation mit allen Mitteln zu vermeiden.

Die Europäer haben völlig den Verstand verloren, sie verstehen nicht, was sie tun, und haben vergessen, was Krieg ist. Die Amerikaner hingegen haben begonnen, sich viel vorsichtiger zu verhalten.

Gleichzeitig propagieren sie hartnäckig die Idee, dass wir, Russland, nicht von der Weltmehrheit unterstützt werden. Es ist eine andere Frage, warum wir mit der Weltmehrheit nicht´so zusammenarbeiten, wie wir es sollten. Aber sowohl in China als auch in anderen Ländern, die zu dieser Mehrheit gehören, verstehen viele Menschen die Logik unseres Handelns, einschließlich unserer Bewegung zur Änderung der Nukleardoktrin, sehr gut. Und die Behauptungen verschiedener westlicher Regierungs- und regierungsnaher Experten, dass sich die Länder der Weltmehrheit von uns abwenden würden, wenn wir unser Vorgehen in der Nuklearfrage verschärfen, sind ein Witz. Das ist ein Element des psychologischen und medialen Kampfes, das leider auch von dummen oder schlimmer als dummen Menschen aufgegriffen wird, die in ihrem Herzen eine Niederlage Russlands herbeisehnen.

Aber die Chinesen geben zu ihrer Haltung zu diesem Thema recht deutliche Erklärungen ab. Kürzlich kommentierte das chinesische Außenministerium Äußerungen russischer Beamter über die bevorstehende Änderung der russischen Nukleardoktrin mit den Worten, dass aus Pekings Sicht „Atomwaffen nicht eingesetzt und kein Atomkrieg geführt werden sollten“. Im Juli schlug China Russland und anderen Atommächten erneut vor, auf den Ersteinsatz von Atomwaffen zu verzichten. Und im Mai unterzeichneten die beiden Staatsoberhäupter Russlands und Chinas, Wladimir Putin und Xi Jinping, eine gemeinsame Erklärung, in der es unter anderem heißt, dass ein Atomkrieg inakzeptabel sei, weil es keine Sieger geben könne.

Das ist ihr offizieller Standpunkt, und ich kann ihn bis zu einem gewissen Grad verstehen. Sie sind durch die Stärkung der nuklearen Abschreckung benachteiligt, weil sie selbst in diesem Bereich noch schwach sind..Was die von den Staats- und Regierungschefs der nuklearen P5 (am 3. Januar 2022) unterzeichnete Erklärung angeht, deren Wortlaut seither in anderen Dokumenten wiederholt wurde, wonach es in einem Atomkrieg keine Sieger geben kann und er nicht entfesselt werden darf, scheint mir ein phantastischer intellektueller Fehler zu sein. Denn was folgt daraus? Dass jeder andere Krieg entfesselt werden kann und dass wir uns mit allen anderen uns zur Verfügung stehenden Waffen gegenseitig vernichten können. Als diese Formulierungen (in der Gorbatschow-Reagan-Erklärung von 1985) vor fast einem halben Jahrhundert auftauchten, glaubte man, dass es keine Kriege zwischen Atommächten geben könne. Doch jetzt führt die US-geführte Atom-NATO einen vollwertigen Krieg gegen uns und benutzt dabei ukrainisches Kanonenfutter. Wenn wir diesem Wahnsinn nicht Einhalt gebieten, werden sie bald damit beginnen, den Krieg auch mit anderen zu füttern.

Atomwaffen sind vor allem eine Waffe des Friedens und der Kriegsverhütung. Viele Jahrzehnte lang haben sie uns so gedient. Doch dann wurden uns Konzepte und Formulierungen aufgezwungen, die den Weg für nichtnukleare Aggressionen in der ganzen Welt geebnet haben. Und in den 1990er Jahren, kurz nachdem die Staats- und Regierungschefs der UdSSR und der USA (Michail Gorbatschow und Ronald Reagan) diesen Satz zum ersten Mal unterzeichnet hatten, wurde damit auch der Weg für die Erweiterung der NATO geebnet, da Russland den nuklearen Faktor als außenpolitisches Instrument faktisch vollständig aufgegeben hatte. Das war ein Verbrechen.

In der Erklärung der Staats- und Regierungschefs der nuklearen P5-Länder vom 3. Januar 2022 wird jedoch ausdrücklich betont, dass eine militärische Konfrontation zwischen Atommächten auf jeden Fall unzulässig ist.

Das ist richtig. Sie haben die Formel über die Unzulässigkeit eines Atomkriegs etwas ergänzt, und das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber wir haben die frühere Erklärung nicht aufgegeben, und neben der pazifistischen Botschaft zielt sie auch darauf ab, den Ländern die Hände frei zu machen, deren konventionelles Waffenarsenal und deren wirtschaftliche Macht ihre Chancen auf einen Sieg in einer zwischenstaatlichen Konfrontation erhöhen. Schließlich sind Sie sich darüber im Klaren, dass die USA immer bereit waren und sein werden, als erste Atomwaffen einzusetzen…

Der derzeitige US-Präsident Joe Biden versprach während seiner Wahlkampagne, diese Praxis in Richtung eines Verzichts auf den Ersteinsatz von Atomwaffen zu revidieren oder zumindest den Grundsatz ihres „einzigen Zwecks“ – der Verteidigung – festzulegen. Beide Versprechen wurden jedoch nicht eingelöst…

Glauben Sie wirklich noch einem der amerikanischen Präsidentschaftskandidaten?

Nein, ich stelle nur fest, dass er das versprochen hat.

Es gibt mehrere Gruppen von Menschen, die den Einsatz von Atomwaffen nicht akzeptieren, und ich stimme den Argumenten einiger von ihnen teilweise zu. Ich verstehe, dass die Entscheidung für den Einsatz von Atomwaffen, die unweigerlich zum Tod unschuldiger Menschen führen wird, ein schrecklicher Schritt ist. Aber Atomwaffen zu besitzen und nicht in der Lage zu sein, seinen Gegner von der Bereitschaft zum Einsatz zu überzeugen, ist Selbstmord.

Wladimir Putin sagte vor kurzem auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg, dass es „Gott bewahre“ und „sehr unwahrscheinlich“ sei, dass es zu einem Atomschlag komme, da die Zahl der Opfer „ins Unermessliche steigen könnte“.

Ich habe andere Gedanken zu diesem Thema. Das ist eine der Legenden, die wir im letzten Jahrhundert geschaffen haben – und ich war persönlich daran beteiligt -, um einen Atomkrieg zu verhindern. Die Behauptung, dass jeder begrenzte Einsatz von Atomwaffen zwangsläufig zu einem universellen nuklearen Armageddon führen wird, hält einer Überprüfung nicht stand. Ich versichere Ihnen, dass alle Atommächte Pläne für den begrenzten Einsatz von Kernwaffen in bestimmten Szenarien haben.

Gleichzeitig bin ich mir sicher, dass die USA immer gelogen haben und weiterhin lügen, wenn es darum geht, dass ihre nuklearen Sicherheitsvorkehrungen auch für ihre Verbündeten gelten. Das ist absolut sicher.

Sie meinen, die USA würden auf einen russischen Atomschlag gegen einen europäischen NATO-Mitgliedstaat nicht reagieren?

Während des Kalten Krieges gingen die USA davon aus, dass wir unter dem Schutz von Atomwaffen in Panzerkolonnen durch Deutschland in den Westen eilen könnten, und das einzige Reaktionsszenario, an dem sie arbeiteten, war ein Atomschlag auf deutschem Gebiet. Nicht auf die UdSSR. In dieser Hinsicht hat sich für die USA seither nichts geändert. Aber wir sind immer noch in einer Wolke von Missverständnissen.

Neulich sagte der CIA-Direktor Bill Burns, dass er im Herbst 2022 zwar Informationen darüber gehabt haben soll, dass Russland in der Ukraine Atomwaffen einsetzen könnte, er aber damals wie heute davon überzeugt sei, dass dieser Faktor die Unterstützung des Westens für Kiew nicht beeinflussen dürfe. „Russland verhält sich wie ein Tyrann, aber wir dürfen uns davon nicht einschüchtern lassen“, sagte er. Was wird sich ändern, wenn die russische Nukleardoktrin verschärft wird?

Man muss nicht nur die Nukleardoktrin verschärfen, sondern es ist auch wichtig, dass die russische Führung klar und deutlich sagt, dass wir bereit sind, Atomwaffen einzusetzen.

Gegen wen?

Gegen die Länder, die die Aggression der NATO in der Ukraine unterstützen.

Das sind alle NATO-Mitgliedsstaaten.

Nein, nicht alle. Warum alle? Die konkrete Liste der Ziele eines nuklearen Gruppenangriffs sollte von denen festgelegt werden, die das Recht dazu haben. Gott bewahre uns natürlich davor, dass es so weit kommt. Man muss alles tun, damit es vorher endet.

Bill Burns ist ein sehr kluger Mann, und ich habe großen Respekt vor ihm. Aber er blufft eindeutig fantastisch, brillant und schamlos.

Soweit ich weiß, hat er russischen Vertretern damit gedroht, dass es im Falle eines Angriffs auf NATO-Länder einen monströsen, zerstörerischen Schlag mit konventionellen Waffen gegen uns und unsere Streitkräfte in und um die Ukraine geben wird. Ich übertreibe meine Bedeutung in der Geschichte nicht, aber meine Antwort darauf war, dass wir dann das Recht hätten, einen zweiten Atomschlag gegen viele weitere Ziele in Europa zu führen. Und wenn sie weiter eskalieren, hätten wir das Recht, amerikanische Stützpunkte in NATO-Ländern und in der ganzen Welt anzugreifen, was den Tod von Hunderttausenden von Soldaten zur Folge hätte.

Ist das nicht der direkte Weg zum totalen Atomkrieg?

Das wird nicht passieren, wenn sie wissen, dass wir darauf vorbereitet sind, am Ende Atomwaffen einzusetzen. Selbst wenn wir dabei viele Opfer in Kauf nehmen, vor allem unter den Soldaten.

Das klingt unberechenbar und gefährlich.

Ich rufe nicht dazu auf, den gefährlichen Weg zu gehen, sondern dazu, die Welt und Russland zu retten. Entweder werden wir diesen Krieg gewinnen oder wir werden auseinanderfallen. Der Westen kann bis in alle Ewigkeit kämpfen, dieser Krieg ist für ihn sehr profitabel. Und ich rufe überhaupt nicht dazu auf, einen Atomkrieg zu beginnen, ich würde es sehr gerne nicht dazu kommen lassen, sondern aufzuhören, bevor wir vor der schrecklichen Entscheidung stehen.

Wladimir Putin hat wiederholt gesagt, dass Russlands konventionelles Potenzial völlig ausreicht, um die Ziele zu erreichen, die sich Moskau gesetzt hat. Könnte es nicht sein, dass Russland durch die Verschärfung der Nukleardoktrin und die Androhung eines Atomschlags bei jeder aggressiven Handlung des Gegners, wobei es diesem Prinzip jedoch selektiv folgt, seine „roten Linien“ noch mehr verwischt? Es gab, sagen wir, den ukrainischen Drohnenangriff auf den Kreml. Was sollen wir tun, wenn das noch einmal passiert?

Unsere Gegner müssen wissen, dass unser Präsident diese Entscheidung (einen Atomschlag auszuführen) treffen wird. Oder er wird das Recht, sie einzusetzen, auf jemand anderen übertragen. Seine Bereitschaft, dies zu tun, ist seine Pflicht vor seinem Land, der Welt und Gott. Wenn der Gegner diese Bereitschaft versteht, dann wird es mit ziemlicher Sicherheit keine Drohnenangriffe auf den Kreml geben.

Wir müssen begreifen, dass ein Vernichtungskrieg gegen uns geführt wird. Viele Menschen sind sich dessen nicht voll bewusst. Solange wir nicht vernichtet sind, werden unsere westlichen „Partner“ keine Ruhe geben.

Oder sie geben Ruhe, wenn sie erkennen, dass es unmöglich ist, uns ohne großen Schaden für sie selbst zu vernichten.

Ich verstehe immer noch nicht ganz, warum wir uns selbst so weit in die Ecke drängen und versprechen sollten, auf fast jeden nicht-nuklearen Schlag mit Atomwaffen zu antworten. Das Beispiel des Drohnenangriffs auf den Kreml, auf den die russische Regierung eher zurückhaltend reagiert hat, scheint mir in dieser Hinsicht beispielhaft zu sein.

Wenn erneut eine Drohne den Kreml angreift, warum dann nicht für den Anfang einen konventionellen Raketenangriff auf den Reichstag? Soll er brennen.

Wenn die Deutschen ihre abscheulichen Verbrechen vergessen haben, die niemals vergessen werden dürfen, sollte man sie daran erinnern.

Auf jeden Fall sollten einem Atomschlag nicht-nukleare Präventivschläge vorausgehen.

Und Sie glauben, dass ein Vergeltungsschlag von der anderen Seite nicht nuklear sein wird?

Die ersten Schläge sollten natürlich nicht nuklear sein. Die Eskalationstheorie besagt, dass wir vor einem Nuklearschlag noch etwa 10 bis 15 weitere Stufen durchlaufen müssen, und wir haben bisher nur fünf durchlaufen. Aber als Nächstes werden wir natürlich Einrichtungen in NATO-Ländern angreifen müssen, die eine wichtige Rolle bei der Versorgung des Kiewer Regimes spielen. Wenn das sie nicht aufhält, dann machen wir weiter.

Sie starten einen massiven konventionellen Schlag gegen uns, wir antworten mit einem noch massiveren nicht-nuklearen Gruppenschlag, und irgendwann nähern wir uns den allerhöchsten Stufen…

Dann sollten wir sofort mit einem nuklearen Gruppenangriff auf Ziele in Europa antworten.

Wo sind die Garantien, dass die Seiten in der Lage sein werden, irgendwann aufzuhören und den Planeten nicht in die Luft zu jagen?

Garantien gibt es, wie Sie wissen, nur bei der staatlichen Versicherung. Was ich Ihnen garantieren kann, ist, dass wir, wenn wir das nicht tun, wenn wir die nukleare Abschreckung nicht reaktivieren, der Selbstzerstörung der Menschheit nicht entkommen. Und wir könnten als erste untergehen.

Ende der Übersetzung


Autor Anti-Spiegel:


Thomas Röper, geboren 1971, hat als Experte für Osteuropa in Finanzdienstleistungsunternehmen in Osteuropa und Russland Vorstands- und Aufsichtsratspositionen bekleidet. Heute lebt er in seiner Wahlheimat St. Petersburg. Er lebt über 15 Jahre in Russland und spricht fließend Russisch. Die Schwerpunkte seiner medienkritischen Arbeit sind das (mediale) Russlandbild in Deutschland, Kritik an der Berichterstattung westlicher Medien im Allgemeinen und die Themen (Geo-)Politik und Wirtschaft.

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