Multipolar: US-Ökonom spricht im EU-Parlament zum Ukraine-Konflikt: „Der Krieg ist zu Ende“ / Scharfe Kritik an US-Expansionspolitik und Nato-Osterweiterung / Kaum mediale Resonanz
5. März 2025
Brüssel.
Der renommierte US-Ökonom Jeffrey Sachs hat während eines Vortrags am 19. Februar im Europaparlament in Brüssel die US-Außenpolitik der vergangenen Jahrzehnte scharf kritisiert. Er forderte die Europäer zu einer eigenständigen Außenpolitik auf. Hierzu plädierte Sachs für eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Russland und der Europäischen Union (EU). Eingeladen zur Veranstaltung mit dem Titel „Die Geopolitik des Friedens“ hatte ihn Michael von der Schulenburg, BSW-Abgeordneter und ehemaliger Diplomat der Vereinten Nationen (UN).
„Der Krieg ist zu Ende“, sagte Sachs in seinem Vortrag. US-Präsident Donald Trump wolle den bewaffneten Konflikt in der Ukraine beenden, weil er nicht auf der Verliererseite stehen möchte. Trump und Putin würden sich höchstwahrscheinlich einigen. Daran werde auch eine Fortsetzung der europäischen „Kriegstreiberei“ nichts ändern. Aus Sicht von Sachs ist die Trump-Regierung nichtsdestotrotz genuin „imperialistisch“, er diagnostizierte in seinem Vortrag kein „neues Zeitalter des Friedens“, sondern eine Fortsetzung der Großmachtpolitik.
Der Ökonom, der als Professor an der Columbia-Universität New York tätig ist, sprach sich vor diesem Hintergrund für mehr europäische Souveränität gegenüber den USA aus. Die Europäer müssten sich um eine eigenständige Außenpolitik bemühen. Der bisherige Kurs sei „russophob“ gewesen und habe weder der europäischen noch der ukrainischen Sicherheit gedient.
Das „amerikanische Abenteuer“ habe „zu einer Million ukrainischer Opfern“ geführt. Er habe einige EU-Staats- und Regierungschefs bereits aufgefordert, statt nach Kiew nach Moskau zu reisen und direkt mit den russischen Amtskollegen zu verhandeln. Die EU und Russland hätten komplementäre Volkswirtschaften und könnten beidseitig von engen Handelsbeziehungen profitieren. In diesem Zusammenhang erwähnte Sachs auch kurz die Sprengung von Nord Stream.
Bereits zu Beginn seiner Rede hatte Sachs in einer historischen Rückschau die US-amerikanische Außenpolitik scharf kritisiert. Die USA hätten nach dem Ende des Kalten Krieges mehrere Kriege – etwa in Serbien, im Nahen Osten oder in Afrika – geführt, um eine US-dominierte, unipolare Weltordnung zu etablieren und abzusichern. Zur US-Strategie gehöre eine vehemente Ablehnung neutraler Positionen und die strikte Zurückweisung der Diplomatie als wesentliches Element der Außenpolitik. Stattdessen versuche man missliebige Regierungen zu stürzen, verdeckt oder offen.
In diesem Kontext sei auch die Nato-Osterweiterung zu betrachten, erläuterte Sachs, der ab 1989 als Wirtschaftsberater für mehrere Regierungen osteuropäischer Länder, darunter Russland, Polen und Estland tätig war. („Schocktherapie“) Er erinnerte an die dokumentierten westlichen Zusagen an Moskau, dass die Auflösung des Warschauer Pakts nicht ausgenutzt und die Nato sich „keinen Zentimeter nach Osten“ ausdehnen würde. Doch schon 1994 sei beschlossen worden, das US-geführte Bündnis bis zur Ukraine auszuweiten und 2014 hätten die USA den ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch gestürzt. Dieser hatte sich für Neutralität und gegen die Nato-Erweiterung ausgesprochen.
Sachs erinnerte auch daran, dass die USA mehrere Rüstungskontrollverträge aufgekündigt haben – so im Jahr 2002 den ABM-Vertrag und im Jahr 2019 den INF-Vertrag. Zudem stationierten die Vereinigten Staaten ab 2010 Aegis-Raketenabwehrsysteme in Polen und später auch in Rumänien. Noch im Januar 2022 hätten „sich die Vereinigten Staaten das Recht vorbehalten, Raketensysteme in der Ukraine zu stationieren.“ Würden China oder Russland beschließen, einen Militärstützpunkt am Rio Grande oder an der kanadischen Grenze zu errichten, würden „die Vereinigten Staaten ausflippen, wir hätten innerhalb von zehn Minuten Krieg“, betonte Sachs. Vor diesem Hintergrund bezeichnete er „die Vorstellung, Putin würde das russische Reich wieder aufbauen“ als „kindische Propaganda“. Er kritisierte die „Medienmanipulation“ und die Beeinflussung der Massenmedien durch die US-Regierung.
Die mediale Resonanz auf Sachs Vortrag war gering. In der „taz“ war man sich „nicht so sicher“, ob ein schnelles Kriegsende tatsächlich bevorstünde, weil viele in der Ukraine und in Nord- und Osteuropa „auf jeden Fall weiter kämpfen wollen.“ Die britische „Times“ bemängelte, dass in Sachs Vortrag Putins Essay „Über die historische Einheit von Russen und Ukrainern“ aus dem Jahr 2021 nicht erwähnt wurde, „in dem er der Nato einen einzigen Absatz widmete“. Weiter bemerkte die Zeitung, dass „Sachs im russischen Staatsfernsehen besser ankommen würde als im EU-Parlament (das in einer Art fassungslosem Schweigen zuhörte)“. „The Brussels Times“ besprach den Auftritt hingegen in einem sachlichen Bericht. „China Daily“ hob die von Sachs betonte Wichtigkeit einer eigenständigen europäischen Außenpolitik hervor, womit auch „gute Beziehungen mit China – Handel, Investitionen, Partnerschaft (Global Gateway und) die Belt and Road Initiative“ gemeint seien.
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