Auszüge aus Der Standard
Die Angst vor dem nächsten Regen im Savinja-Tal
Im August wurde im slowenischen Rečica ein Campingplatz überschwemmt. Die Feuerwehr rettete die Urlauber, auch die Bürgermeisterin half mit. Eine Reportage aus Rečica
Sonnenuntergänge in der Hängematte am lauschigen Flussufer, fröhliche Kinder in gelben Kajaks, Klettererlebnisse in den Bäumen des Campingplatzes. Das Camp Menina am slowenischen Fluss Savinja ermöglicht jedes Jahr Tausenden von Menschen einen Natururlaub in einem wunderschönen Tal in Mitteleuropa. Doch nach den Überschwemmungen am 4. August dieses Jahres, als die Savinja Stunde um Stunde anschwoll, immer rasender wurde, Bäume ausriss und diese Hölzer gemeinsam mit den Wasser- und Gesteinsmassen zu einem rasenden Ungeheuer wurden, das alles in der Nähe zerstörte, ist der Fluss, der in den Steiner Alpen entspringt, ein anderer geworden.
Sorgen wegen Gesteinssands
Auch das Camp Menina ist nicht wiederzuerkennen. Noch immer sieht man leere Campinganhänger und Hütten windschief auf dem aufgewühlten Boden, so als hätte ein Kind ein paar Matchboxautos aufeinander losgelassen. Der Fluss dahinter ist eingezwängt von Geröll. Dieser Gesteinssand ist nach der Katastrophe die größte Sorge der Bürgermeisterin von Rečica, der sympathischen Majda Potočnik. Denn Frau Potočnik fürchtet, dass die Savinja nach dem nächsten Regen noch schneller anschwellen könnte, weil der Sand ihr einfach keinen Platz mehr lässt, um weiterzufließen.
Es dürfte Monate, ja möglicherweise sogar Jahre brauchen, bis dieses Geröll, das bei den Unwettern am 4. August aus den Alpen hinunter ins Tal gespült wurde, aus dem Flussbett herausgeholt werden kann. Doch noch gibt es gar keinen Plan dafür. Und vor allem kein Geld. "Die Leute hier haben extrem Angst vor dem Regen, der Sand ist jetzt unser größtes Problem", erzählt Potočnik, die im ersten Stock des Gemeindeamtes des 2.300 Einwohner zählenden Orts sitzt, dessen Wahrzeichen ein Pranger ist, an den früher Raufbolde, Landstreicher und Diebe gebunden wurden.
Die Überschwemmungen haben nicht nur Schäden in Milliardenhöhe verursacht, sondern den Bewohnern des Savinja-Tals das Gefühl hinterlassen, dass die Bedrohung nie mehr vorbei sein wird, dass das Leben nie mehr wirklich normal wird, dass ihnen eines Tages alles geraubt werden kann. Slowenien ist einer der bestorganisierten und saubersten Staaten Europas, die Bevölkerung gilt als sehr umweltbewusst. Kurz nach den Überflutungen waren die meisten einfach nur froh, dass sie überlebt haben. Nun beginnen sie zu begreifen, dass sie selbst für viele Schäden aufkommen müssen, die ihr Fluss durch den Starkregen verursachte.
Keine Normalität
Die Bäche und der Fluss werden nun von den mitgerissenen Bäumen und Hölzern gereinigt, doch wer durch das Savinja-Tal reist, sieht überall stark beschädigte Straßen, zerstörte Brücken. Obwohl die Wasserleitungen wieder funktionieren, die Stromversorgung intakt ist und das Telefon wieder läutet, will sich keine Normalität einstellen. Eine staatliche Kommission hat das Ausmaß der Schäden dokumentiert. Bürgermeisterin Potočnik hat einen Krisenstab zusammengestellt, der humanitäre Hilfsgüter verteilte und Leute organisierte, um die verschlammten Häuser zu reinigen. Unternehmen wie Gorenje verschenkten großzügig neue Kühlschränke und andere Geräte.
Doch offen ist, wie man nun mit der Savinja umgehen wird. Die gebildeten Menschen im Ort würden verstehen, dass der Starkregen, der den Fluss zu einem zerstörerischen Ungeheuer machte, durch den Klimawandel verursacht wurde, meint Potočnik. Aber es gebe unterschiedliche Interessen. Naturschützer setzten sich dafür ein, dass die Savinja überhaupt nicht berührt wird. Menschen, die neben ihr leben, fürchteten sich hingegen zunehmend vor dem Fluss.
Möglicherweise könnte es in Zukunft notwendig sein, die Menschen vom Ufer der Savinja abzusiedeln. Die Orte hier im Savinja-Tal haben in den vergangenen Wochen viel internationale Hilfe erfahren. Aus ganz Europa reisten Menschen an. Bei den Überschwemmungen kamen sechs Menschen ums Leben. Zwei ältere Slowenen ertranken, zwei Niederländer kamen in den Bergen ums Leben, wahrscheinlich durch einen Blitzschlag. Ein Mann wurde in einem Fluss im Osten gefunden, und ein Helfer fiel in eine Jauchengrube.
Höfe weiterhin in Gefahr
Die Auswirkungen der Katastrophe sind noch immer nicht abzuschätzen. Weil der Boden so durchnässt ist, sind einige Höfe an den Berghänge in Gefahr, abzurutschen. Eigentlich müssten die Menschen dort wegziehen, aber es ist schwer, sie dazu zu zwingen. Der Boden ist jedenfalls weiter in Bewegung, Muren haben ganze Häuser im Savinja-Tal weggerissen.
Auf Bürgermeisterin Potočnik kommen also noch schwere Entscheidungen zu. Sie will mit den Menschen von der Feuerwehr, mit denen sie in der Nacht des 4. August für das Überleben der Touristen kämpfte, irgendwann jetzt noch, solange das Wetter halbwegs schön ist, ein Picknick machen, um sich nochmals an die Erlebnisse dieser Nacht zu erinnern. Sie meint, dass diese Nacht sie alle verbunden habe, die Bürgermeisterin und die Feuerwehrleute sind heute eine Schicksalsgemeinschaft. Ihr Mut hat sich durch die Geretteten herumgesprochen. (Adelheid Wölfl aus Rečica, 23.9.2023)
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