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AutorenbildWolfgang Lieberknecht

Ernüchterung bei den Kriegsbetrunkenen im Westen und der Ukraine! Jetzt den Weg zum Frieden finden!

Nachdenkseiten

Ein Artikel von Gábor Stier

Mit Bitterkeit und Wut, gemischt mit Enttäuschung, beobachten die Eliten in Kiew und im Westen das Scheitern der ukrainischen Gegenoffensive. Wie so oft hat das Scheitern auch diesmal keinen Verursacher, und das Hin- und Herschieben von Verantwortung hat begonnen. In der Folge wachsen die Spannungen sowohl innerhalb der ukrainischen Machtelite – vor allem zwischen dem Militär und der politischen Führung – als auch zwischen Kiew und seinen westlichen Unterstützern. Welche Fehler haben dazu geführt, und was sind die möglichen Folgen der wachsenden Kriegsmüdigkeit? Vom ungarischen Analysten Gábor Stier, ins Deutsche übersetzt von Éva Péli.

Das Scheitern des Durchbruchs, die gescheiterte Gegenoffensive hat sowohl die westliche Öffentlichkeit, die den Glauben an den Sieg der Ukraine verloren hat, als auch die ukrainische Innenpolitik aufgewühlt. Der westliche Mainstream kritisiert immer lauter die ukrainische Führung. Die politischen Eliten zeigen irritiert mit dem Finger auf Kiew, und die Presse berichtet immer offener über den Stand des Krieges. Sie konfrontiert eine zunehmend kriegsmüde Öffentlichkeit mit der Tatsache, dass von einem ukrainischen Sieg immer noch keine Spur zu sehen ist. Darüber hinaus verändert sich die internationale Lage, sie spitzt sich immer mehr zu. Und wie wir am Aufflammen der palästinensisch-israelischen Konfrontation gesehen haben, wird die Aufmerksamkeit langsam von der Ukraine abgelenkt. Inzwischen sind viele Länder wegen innenpolitischer Probleme kaum noch in der Lage, die finanzielle und militärische Unterstützung für Kiew zu erhöhen oder auch nur das derzeitige Niveau zu halten.

Wie die Situation in den USA zeigt, wird es immer schwieriger, hinter der Ukraine zu stehen. Das heißt natürlich nicht, dass der Westen der Ukraine den Rücken kehrt, aber der moralische Ansatz und der realitätsferne Enthusiasmus werden zunehmend durch bittere Ernüchterung, Enttäuschung und Realismus ersetzt.

Auch in den Medien schlägt die Stimmung um. Wolodymyr Selenskyj, der vor einem Jahr noch als Verteidiger der westlichen Welt und des Fortschritts galt, steht nun im Mittelpunkt der Kritik. Immer mehr Menschen weisen auf seine fehlgeleiteten Ziele, seine mangelnde Kompromissbereitschaft, das Ausmaß der Korruption in der Ukraine und sogar auf seinen diktatorischen Führungsstil hin. Ein gutes Beispiel dafür ist das US-Magazin Time, das Selenskyj vor einem Jahr zum „Mann des Jahres“ kürte und nun eine vernichtende Kritik über den ukrainischen Führer veröffentlicht hat. In seinem viel beachteten Bericht hat das Wochenmagazin bereits die Realitätsferne des Präsidenten, der sich für den Erlöser wähnt, seine Entschlossenheit, den Kampf fortzusetzen, und seine fast messianische Verpflichtung, Russland zu besiegen, aufgedeckt. Inzwischen wachsen die Unzufriedenheit in der Gesellschaft und die Spannungen innerhalb der Elite. Einige Kommandeure an der Front widersetzen sich den Befehlen. Sie weigern sich anzugreifen, bleiben nur in den Schützengräben sitzen und halten die Stellung. Selenskyj ist offensichtlich enttäuscht über den Westen. Der Präsident sieht, dass es immer schwieriger wird, die Ukraine zu finanzieren, ist deshalb verständlicherweise nervös und fühlt sich von seinen Verbündeten verraten.

Der westliche Mainstream ist desillusioniert und wütend

Doch bevor wir über die realistische Sicht der westlichen Mainstream-Medien in Bezug auf die Lage in der Ukraine euphorisch werden, möchte ich Sie daran erinnern, dass in denselben Zeitungen vor einem Jahr enthusiastische Artikel über die Siegeschancen der Ukraine zu lesen waren. Und derselbe Journalist Simon Shuster, der jetzt plötzlich einen kritischen Ton anschlägt, erklärte Selenskyj zum Helden, zum Hüter der Demokratie. Und derselbe Mainstream hat alles, was er jetzt selbst behauptet, als russische Propaganda gebrandmarkt.

Der westliche Mainstream scheint der Realität ins Auge geblickt zu haben und akzeptiert, was die realistische politische Schule seit dem 24. Februar 2022 sagt. Er sieht ein, dass dieser Krieg nicht zu gewinnen und die Ukraine gezwungen ist, sich mit territorialen Verlusten aus ihm zurückzuziehen. Dieser Mainstream ist jedoch eher desillusioniert und wütend, weil der Traum, den er sich ausmalte, in weite Ferne rückt: Russland kann nicht besiegt werden. Doch anstatt zuzugeben, dass sie die öffentliche Meinung in die Irre geführt hat, sucht die Mainstream-Presse ähnlich der politischen Elite nach einem Sündenbock und zeigt nun mit dem Finger auf die ukrainische Führung. Dabei ist die Elite in Kiew heute noch genauso wie beim Ausbruch des Krieges, nur der westliche Mainstream wollte es nicht wahrhaben. In dem, was jetzt geschieht – zum Beispiel die Zuspitzung der Beziehungen zwischen dem Generalstabschef der ukrainischen Armee, Walerij Saluschnyj, und Selenskyj – ist in der Tat nichts Neues, denn das war vor einem Jahr nicht anders. Ein Riesenunterschied ist jedoch, dass die Ukraine vor einem Jahr militärische Erfolge vorweisen konnte, indem sie an der Front in Charkiw vorrückte. Außerdem standen die Vereinigten Staaten und der gesamte Westen eindeutig an der Seite der Ukraine.

Die Tatsache, dass die westliche Presse die Erklärung des Vorsitzenden von Selenskyjs Parlamentsfraktion „Diener des Volkes”, Dawid Arachamija, als Neuigkeit wiedergegeben hat, sollte in diesem Zusammenhang betrachtet werden. Arachamija sprach unter anderem über die russisch-ukrainischen Friedensgespräche vom März beziehungsweise April 2022 und erwähnte, dass am Ende die einzige wirkliche Meinungsverschiedenheit die Mitgliedschaft oder Nichtmitgliedschaft der Ukraine in der NATO war und dass die Friedensgespräche schließlich nach dem Besuch – der Intervention – von Boris Johnson abgebrochen wurden. Arachamija weiß darüber Bescheid, da er die ukrainische Delegation leitete. Die westlichen Medien müssen das auch gewusst haben, aber die Mainstream-Medien wollen davon nichts gewusst haben, obwohl der ehemalige deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder oder der israelische Ex-Regierungschef Naftali Bennett, die an der Vermittlung beteiligt waren, darüber sprachen. Die Einsicht der Ukraine kann nun als eine Botschaft an den Westen interpretiert werden, die besagt: Wenn ihr damals keinen Frieden zugelassen habt, finanziert ihr jetzt den Krieg.

Bevor wir jedoch Mitleid mit Wolodymyr Selenskyj und seiner Mannschaft haben, sollten wir nicht vergessen, dass die ukrainische Elite ein Partner in dieser stillschweigenden Abmachung war. Während der Westen die Augen vor den Schlamassel verschloss, spielte Selenskyj einerseits die ihm zugeteilte Rolle des Kriegshelden, andererseits wusste er aus der Opferrolle Kapital zu schlagen. Er wuchs so sehr in seine Rolle hinein, dass er anfing zu glauben, was er sagte.

Die „Performance” nimmt immer absurdere Wendungen

Umso verständlicher sind Nervosität und Wut, gemischt mit der Desillusionierung, die sich in seinem Gesicht bereits auf dem NATO-Gipfel in Vilnius und jüngst auf seiner USA-Reise abzeichneten. Das Rampenlicht ist erloschen oder zumindest verblasst, jetzt ist Gaza im Fokus. Aber die Vorstellung ist noch lange nicht vorbei, sie nimmt nur immer tragischere Züge an. Doch man kann nicht einfach die Rolle ablegen, auch wenn dieses Spiel immer mehr zu einer Farce wird – so sehr, dass manchmal sogar die Nebendarsteller eine Hauptrolle haben wollen. Wie im Fall von Oleksij Arestowitsch, dem im Januar entlassenen Präsidentenberater, der, das wachsende Chaos spürend, seine Absicht kundtat, für das Präsidentenamt zu kandidieren und für den Frieden bereit zu sein, die von Russland besetzten Gebiete aufzugeben.

Inmitten einer spektakulären Zuspitzung der Spannungen zwischen der militärischen und der politischen Führung gibt beispielsweise der plötzliche und merkwürdige Tod von Major Hennadii Chastiakov, einem Adjutanten des ukrainischen Oberbefehlshabers, verständlicherweise Anlass zu Spekulationen. Nach der offiziellen Version hatte er von seinem Kollegen, Oberst Timtschenko, zum Geburtstag eine Flasche guten Whiskey und Kampfgranaten geschenkt bekommen. Saluschnyjs Stellvertreter soll ihn ausdrücklich darauf hingewiesen haben, aber der Jubilar hielt dies zu Hause für einen Scherz und machte sie scharf. Nach einer anderen Version begann der 13-jährige Sohn des Majors, mit den Granaten zu spielen. Während Chastiakov sie ihm aus der Hand nahm, wurde demnach der Sprengstoffmechanismus der Granate aktiviert. Chastiakov wurde getötet und sein Sohn schwer verletzt. Um die Verwirrung zu steigern, ist auf den am Tatort aufgenommenen Bildern eine Injektionsnadel zu sehen. Die offizielle Erklärung wird von vielen nicht geglaubt, sie sehen hinter den Ereignissen die Präsidialverwaltung, obwohl die Möglichkeit eines „Geburtstagsunfalls” nicht ausgeschlossen ist.

Aber der Regisseur hat noch nicht abgewunken, also müssen die immer peinlicheren Szenen gespielt werden. Auch wenn die Schauspieler hinter den Kulissen bereits übereinander herfallen, und jeder will dem anderen – die ukrainischen Schauspieler meist dem Regisseur – den Misserfolg der Aufführung in die Schuhe schieben.

Die ausländische Presse wird zum Schlachtfeld der Machtkämpfe

Auch hierfür nutzen sie die internationale Presse. Selenskyj gibt ein Interview nach dem anderen, mal verzweifelt, mal erpresserisch, manchmal mit drohendem Ton. Er selbst erhält über die Medien Nachrichten, die ihn oft wie eine kalte Dusche überkommen. So berichtete der US-amerikanische Fernsehsender NBC kürzlich, dass die westlichen Staats- und Regierungschefs die Ukrainer bereits an den Verhandlungstisch setzen würden. Inzwischen wird auch die ausländische Presse, wie zum Beispiel The Economist, zu einem Schlachtfeld für Machtkämpfe.

In einem in der britischen Zeitschrift veröffentlichten Interview und in zwei parallel dazu veröffentlichten Artikeln räumte Oberbefehlshaber Saluschnyj ein, dass an den Fronten eine Pattsituation herrsche. Es gebe keine Chance auf einen Durchbruch, und es werde statt Operationen zu langwierigen Stellungskämpfen kommen, günstig für die russische Seite, die eine Taktik des Aufreibens verfolge. Laut dem Generalstabschef braucht die Ukraine neue militärische Fähigkeiten und Ausrüstung – vor allem Artillerie und Luftstreitkräfte –, um aus der Falle dieser Art der Kriegsführung auszubrechen. Saluschnyjs Worte in der britischen Zeitschrift können tatsächlich als Hilferuf interpretiert werden.

Der Oberbefehlshaber sieht und spürt, dass die ukrainische politische Führung, das Team des Präsidenten, ihn zum Sündenbock für das Scheitern der Gegenoffensive machen will. Daher räumt er zwar die taktischen Fehler der militärischen Führung ein, verweist aber auf die Verantwortung der politischen Elite und des Westens.

Der Westen hat sich selbst belogen

Zu Recht, denn die militärische Führung hielt beispielsweise die Verteidigung von Bahmut, die unzählige Opfer erforderte und der russischen Seite Zeit für den Bau der Surowikin-Linie verschaffte, für ungerechtfertigt, aber die Präsidialverwaltung wollte ein Heldenepos schreiben und war mehr auf Prestige als auf praktische Erwägungen bedacht. Doch auch die Verantwortung der westlichen politischen Elite und der NATO ist zu bedenken. Es war ein Fehler, die Ukraine in einen aussichtslosen Kampf zu stürzen – ein Friedensabkommen wurde im März 2022 blockiert – und sie glauben zu lassen, auch wenn es nicht so schwierig war, dass Russland besiegt werden muss und kann. Vor diesem Hintergrund ist es kein Zufall, dass Moskau diesen Krieg als Teil des Stellvertreterkriegs der USA gegen Russland sieht, in dem ukrainische Truppen als Kanonenfutter eingesetzt werden. Es scheint jedoch, dass der Westen nicht nur die Ukraine, sondern auch sich selbst getäuscht, um nicht zu sagen gar belogen hat.

Es gab auch erheblichen politischen Druck auf Kiew, eine Gegenoffensive zu starten, die von der ukrainischen Militärführung in Zusammenarbeit mit westlichen Beratern und Strategen geplant wurde. Nach fünf Monaten ist festzustellen– und Saluschnyj sagt es im Wesentlichen –, dass die Alliierten ein böses Experiment mit den Ukrainern durchgeführt haben. Kein Mitgliedsstaat des Bündnisses hätte vermutlich eine offensive Militäroperation gestartet – ohne Artillerie und Luftüberlegenheit. Es wurde aber auch deutlich, dass die NATO in den letzten drei Jahrzehnten keine unmittelbare Erfahrung mit umfangreichen Landoperationen hatte – schon gar nicht gegen einen so starken Gegner. Und wir haben noch nicht erwähnt, dass es ein Fehler bei der Aufklärung und Planung war, zu erwarten, dass die Kampfmoral der Russen niedrig sein würde und dass sie sich nach den ersten Angriffen zurückziehen würden.

Das Jahr 2023 hat gezeigt, dass Russland besser auf einen langwierigen Krieg vorbereitet ist als die Ukraine, die ohne die Hilfe des Westens nicht in der Lage wäre, weiterzukämpfen.

Außerdem verfügt Russland über weitaus größere Reserven, und es ist klar, dass der Westen, der hinter der Ukraine steht, weder in der Lage noch willens ist, Kiew stärker zu unterstützen, als er es derzeit tut. Er glaubt, dass er sein Ziel – Russland nicht viel gewinnen zu lassen und es durch einen Krieg so weit wie möglich zu schwächen – ohnehin erreichen wird. Was mit der Ukraine geschieht, ist für ihn weniger von Interesse.

Es ist daher klar, dass das offizielle ukrainische Narrativ vom Endsieg zusammenbricht, der Krieg militärisch nicht zu gewinnen ist und Kiew sich früher oder später mit Russland an einen Tisch setzen muss, um zu verhandeln. Wenn es nach Moskau geht, wird es später sein müssen, denn sie hoffen, dass die Zeit zu ihren Gunsten arbeitet.

(Der Artikel wurde ursprünglich in der ungarischen Wochenzeitung Demokrata veröffentlicht und kann hier nachgelesen werden.)

Angaben zum Autor:

Gábor Stier, geboren 1961, ist ein ungarischer außenpolitischer Journalist, Analyst und Publizist. Er ist Fachjournalist für Außenpolitik bei der ungarischen Wochenzeitschrift Demokrata sowie Gründungschefredakteur von #moszkvater, einem Internet-Portal über die slawischen Völker, insbesondere die Länder der ehemaligen Sowjetunion. Davor war er 28 Jahre lang bis zu ihrer Auflösung bei der konservativen Tageszeitung Magyar Nemzet tätig, von 2000 bis 2017 als Leiter des außenpolitischen Ressorts. Er war der letzte Moskau-Korrespondent der Zeitung. Sein Interesse gilt dem postsowjetischen Raum und dessen aktuellen geopolitischen Entwicklungen. Stier schreibt regelmäßig für außenpolitische Fachzeitschriften und seine Beiträge und Interviews erscheinen regelmäßig in der mittel- und osteuropäischen Presse. Er ist Autor des Buches „Das Putin-Rätsel“ (2000) und seit 2009 ständiges Mitglied des Waldai-Klubs.

Titelbild: Shutterstock / ShapikMedia

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