Schwerpunktredaktion: Martin Beckmann, Alexander Maschke, Eberhard Seifert, Sandra Sieron, Christoph Sorg, Simon Sutterlütti
Die Planwirtschaft ist wiedergekehrt. Das lange letzte Jahrzehnt mit einer globalen Finanzkrise, dem zunehmenden Bewusstsein für die Klimakatastrophe und der Covid-19-Pandemie hat das gegenwärtige Akkumulationsregime vielfach zur Disposition gestellt. Das führte zu unterschiedlichsten Suchbewegungen wie Postwachstumsökonomie, Green New Deal, Care-Ökonomie, Commoning und techno-futuristischen Utopien der Vollautomatisierung. Langsam verdichten sich diese Suchbewegungen zu neuen Ansätzen und einer Debatte um die Frage, wie Wirtschaftsplanung eine Alternative zur marktbasierten Allokation darstellen könnte.
Um solche Fragen drehte sich bereits die sogenannte Debatte zur Wirtschaftsrechnung im Sozialismus, die in mehreren Wellen über das gesamte 20. Jahrhundert geführt wurde. Im Rahmen des Marxismus wurde argumentiert, dass nur eine bewusste, demokratische Planung die kapitalistische »Anarchie der Produktion« überwinden könne. Demgegenüber wurde von sozialistischer und nicht-sozialistischer Seite entgegnet, effizientes Wirtschaften sei nicht ohne Vermittlung durch Märkte zu erreichen. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts schienen die Planer*innen in der Offensive zu sein: Die Krisen der kapitalistischen Gesellschaftsformation führten dazu, dass »Planung« seither, und insbesondere in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wieder ein positiv konnotierter Begriff wurde. Auch in der europäischen Sozialdemokratie entstand so in den 1970er-Jahren eine Debatte, ob demokratische Planung und Vergesellschaftung der Investitionen nicht der einzige Weg aus der Stagflationskrise seien. Sogar in den USA nahm die Demokratische Partei 1976 eine Forderung nach »national economic planning« in ihr Parteiprogramm auf.
Mit dem Ende des Staatssozialismus galt die Planwirtschaft allerdings als gescheitert. Auch bei großen Teilen der Linken – vielfach gerade bei jenen mit realsozialistischen Biografien – wurde Planung mit sowjetischer Zentralplanung, träger Bürokratie und autoritären Top-down-Strukturen assoziiert. Als letzte Utopie blieben verschiedene Formen des Marktsozialismus, die eine regulierte Marktwirtschaft zumindest mit sozialem Eigentum und Demokratie am Arbeitsplatz verbinden sollten. Doch seit einigen Jahren hat die Zahl wissenschaftlicher und populär-wissenschaftlicher Publikationen mit positivem Bezug auf demokratische (Wirtschafts-)Planung rasant zugenommen.
Die neue Debatte drehte sich zunächst primär um neue technische Entwicklungen, die demokratische (Wirtschafts-)Planung möglich machen sollen. Zunehmende Rechenleistung, künstliche Intelligenz, Netzwerktechnologien und Big Data erlauben neue Formen der Planung, wie dies auch schon kapitalistische Betriebe unter dem Vorzeichen von Profitmaximierung statt Bedürfnisbefriedigung eindrucksvoll vorzeigen. Eine Reihe von Autor*innen hat begonnen, die Möglichkeiten solcher kybernetischen »Feedback-Technologien« als Grundlage für neue Formen demokratischer Wirtschaftsplanung im 21. Jahrhundert zu diskutieren. Eine der zugrunde liegenden Annahmen ist, dass Big Data, prädiktive Analytik und digitale Kommunikationstechnologien neue Formen der nicht-marktbasierten Koordination ermöglichen und damit die Debatte über kommunistische beziehungsweise sozialistische Rechnungslegung im Zeitalter der Digitalisierung neu aufgerollt werden muss.
Mit der zunehmenden Eskalation der Klimakrise hat sich der Schwerpunkt der Debatte aktuell zu ökologischen und politischen Fragen verschoben. Innerhalb der Marktwirtschaft scheinen angesichts der fortgeschrittenen Klimakrise Preisregulierungen (wie eine CO2-Bepreisung oder Emissionshandel) in einer solchen Höhe notwendig, dass massive soziale Verwerfungen höchst wahrscheinlich wären. Auch bezweifeln einige Autor*innen, dass der Staat aufgrund seiner Profitabhängigkeit überhaupt die Autonomie und Kapazität haben würde, innerhalb der Marktwirtschaft auf die Katastrophe angemessen zu reagieren. Selbst neoklassische Anhänger*innen der Marktwirtschaft sind skeptisch, ob der vermeintlich effiziente Preismechanismus in einer so rapiden Transformation seine Wirkung noch entfalten kann. »Degrowth by design, not by disaster« wird ohne Planung nicht machbar sein.
Jenseits der technologischen und ökologischen Ebene stellt die Planungsdebatte aber vor allem politische und demokratische Fragen: Die produktive und reproduktive Struktur unserer Wirtschaft und Gesellschaft hängt aktuell zentral von den privaten Investitionsentscheidungen einiger Unternehmen ab, die gezwungen sind, profitabel zu wirtschaften. Ökologische, politische und soziale Fragen sind für ihre Kosten-Nutzen-Rechnung zwangsläufig nachrangig. Wie finden wir demokratische Mechanismen, um über die Richtung gesellschaftlicher Entwicklung bewusst zu entscheiden, anstatt solche zentralen Themen den blinden und anonymen Kräften des Marktes zu überlassen?
Die PROKLA 215 widmet sich daher der Frage nach demokratischer Planung von Produktion und Reproduktion im 21. Jahrhundert und lädt dazu ein, sich an dieser dynamischen Debatte zu beteiligen. Wir wünschen uns Beiträge insbesondere zu folgenden Themen:
Sind die aktuelle Rückkehr von Industriepolitik u. a. in den Bereichen künstliche Intelligenz und die ökologische Wende eine Form von Wirtschaftsplanung, und wie sind diese zu bewerten? Wie funktioniert solche Planung im Kapitalismus?
Reale Experimente mit Planung haben eine lange Geschichte. Wie ist diese Geschichte nachzuzeichnen, gerade auch mit Blick auf die in der Debatte selten wahrgenommenen Erfahrungen mit Planung aus dem Globalen Süden?
Mittlerweile sind viele Modelle demokratischer Planwirtschaften publiziert: u. a. Cockshott/Cottrells Cybersozialismus; Devines Negotiated Coordination, Laibmans Multilevel Democratic Iterative Coordination, Hahnel/Alberts Parecon; Sutterlütti/Meretz’ Commonismus; Daniel Saros’ Digital Socialism. In der Debatte der 1990er- und 2000er-Jahre gab es zu wenig Austausch zwischen den damaligen Modellen und die zentralen Unterschiede wurden kaum fruchtbar herausgearbeitet. Wir freuen uns über Beiträge, die sich mit einem oder mehreren dieser Modelle kritisch auseinandersetzen, ihre Schwächen aufzeigen, sie weiterentwickeln und gemeinsame Nenner herausfinden.
Andere Streitpunkte der bisherigen Debatte sind: Wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen zentraler und dezentraler Koordination und lokaler Autonomie? Gibt es Lohnarbeit und, falls ja, in welcher Form? Gibt es eine einheitliche Recheneinheit und, falls ja, welche? Gibt es Märkte und, falls ja, in welcher Form?
Feministische Interventionen kritisieren den starken Fokus auf Technologie und »produktive« Arbeit und benennen damit zusammenhängende Schwächen der Debatte. Wie können auf Basis dieser Vorarbeiten feministische Utopien von demokratischer Planung entworfen werden? Dies kann in reformierender Anlehnung oder in Abgrenzung zu bestehenden Modellen geschehen.
Wie könnten Transformationsmodelle hin zu einer demokratischen Planung aussehen? Kann es in dieser Richtung Einstiegsprojekte geben, die Planungselemente ausweiten?
Aktueller Call | PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft
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