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AutorenbildWolfgang Lieberknecht

Thomas Mann im US-Exil wurde vom FBI überwacht & geriet ins Visier der Kommunistenjäger. Nach Präsident Roosevelt wuchs der Einfluss republikanischer Scharfmacher. Enttäuscht verließ Mann die USA.


Thomas Mann keineswegs der politisch ahnungslose Poet, der „unwissende Magier“ war, als den man ihn oft betrachten wollte. Im Jahr 1938, dem Jahr seiner Emigration in die Vereinigten Staaten, veröffentlichte Thomas Mann einen bemerkenswerten Satz über sich selbst, den Vaget mit guten Gründen als programmatisch ansieht: Die Heimsuchung Deutschlands nun gar durch den Hitlerismus hat diesen ursprünglich unpolitischen Schriftsteller zu einem aus tiefster Seele Protestierenden ... zu einem Emigranten und politischen Kämpfer gemacht. Ein politischer Kämpfer für das bessere Deutschland, der zum Amerikaner wurde, weil er Deutscher bleiben wollte, den schrecklichen Verbrechen des Hitlerismus zum Trotz. Der Schriftsteller sah sich nie nur als Opfer, sondern immer auch als aktiven Gegenspieler jenes Mannes betrachtet, dem er einen Essay widmete, der 1938 unter aufsehenerregender Überschrift erschien: „Bruder Hitler“. Thomas Mann ja tatsächlich eine Art Verwandtschaft zwischen sich und dem pathologischen Massenmörder Hitler reklamierte. Was auf den ersten Blick absurd anmutet, war kühl kalkuliert und von großer Tragweite. Denn der zugrunde liegende Gedanke war nicht nur entscheidend für die Einschätzung des verbrecherischen Diktators, sondern er war entscheidend für die im Grunde bis heute virulente Frage, wie deutsch die Nazis waren. Anders gesagt: Beide, Adolf Hitler und Thomas Mann, erhoben den Anspruch, Deutschland zu verkörpern. Und Thomas Mann gestand dem Diktator indirekt zu, dass er und seine blutgierigen Helfer diesen Anspruch nicht gänzlich zu Unrecht erhoben. Was daraus folgt? Viel, sehr viel sogar, denn damit war die post festum so oft bemühte Erklärung, die Nazis seien ein „Betriebsunfall“ der deutschen Geschichte gewesen, von vornherein ausgeschlossen. „Bruder Hitler“ – diese plakative Formulierung bedeutete cum grano salis nichts anderes, als dass der Diktator und seine Schergen sich in gewissem Sinne sehr wohl auf das Deutschtum und dessen Traditionen berufen durften. Die Nazis kamen nicht aus dem Nichts, sie waren das andere, das – mit einer Mann‘ schen Formulierung – „fehlgegangene“ Deutschland. Bereits im September 1941 spricht er in einer seiner berühmten Radioansprachen an „Deutsche Hörer“ von den Verbrechen gegen „Polen und Juden“, im folgenden November erwähnt er erstmals „Massen-Vergasungen“, im Juni 1942 konfrontiert er seine deutschen Hörer mit dem „viehischen Massenmord von Mauthausen“, und im September 1942 berichtet er im Rundfunk von der Ermordung von elftausend Juden durch Giftgas. Aber der empörte Aufschrei der Weltöffentlichkeit blieb aus, und auch Amerikas Reaktion war enttäuschend. Sein Demokratieverständnis, notorisch heikel seit den „Betrachtungen eines Unpolitischen“, erfuhr unter dem Eindruck des Nationalsozialismus eine drastische Veränderung. In Roosevelt sah er nun, da der Krieg heraufzog, den perfekten Staatsmann, der das Mann‘ sche Ideal einer Demokratie mit aristokratischem Einschlag, die gleichsam von oben nach unten Gutes bewirkt, zu verkörpern wusste. Der Schriftsteller hatte 1938 den Entschluss gefasst, nach Amerika zu emigrieren, weil er überzeugt war, dass Hitler den Krieg wollte und nur die Weltmacht Amerika in der Lage war, den Diktator militärisch zu bezwingen. Den weltpolitischen Gegenspieler Hitlers hatte er in Roosevelt ausgemacht, dem amerikanischen Präsidenten des New Deal. In ihn setzte er all seine Hoffnung. Dass der liberale Präsident in seinen eigenen großbürgerlichen Kreisen als Verräter geschmäht und vor allem für seine soziale Politik des „New Deal“ oft mit großer Inbrunst gehasst wurde, focht Thomas Mann nicht an. Seine Bewunderung ging so weit, dass er sich 1944 sogar mit einer Rede in den. Im Mai 1942, hatte er in einem Artikel erkennen lassen, dass er Roosevelt durchaus auch als Bollwerk gegen jene Gefahren betrachtete, die Amerikas aus seinem Inneren bedrohten: Ich lebe lange genug in Amerika, um der Schwächen, Gebrechen, Gefahren seiner Demokratie gewahr geworden zu sein. Ich weiß sogar, dass die Giftstoffe, die Europa zersetzten, auch in seinem Organismus ihr Wesen treiben und dass sie nicht ohne alle Aussicht auf Erfolg seinen Siegeswillen lahmzulegen versuchen. Er war der einzige unter den 132.000 deutschen Emigranten in den USA, der die Kühnheit und das Selbstbewusstsein mit sich im Reisegepäck führte, die nötig waren, um sich der Neuen Welt als Repräsentant nicht nur der deutschen Literatur, sondern des ganzen Landes und der Nation schlechthin vorzustellen: Where I am, there is Germany. Aber auch in Amerika wollte er nicht bleiben. Denn dort hatte sich nach dem Tod Roosevelts ein Klima der Unfreiheit entwickelt, dass in der Menschenjagd der McCarthy-Jahre seinen unrühmlichen Höhepunkt fand. Für Thomas Mann kam diese Entwicklung keineswegs unerwartet, wie Vaget zu zeigen weiß. Aber bei aller Verbitterung, bei allen Klagen über die Vertreibung, die ja nicht nur der Person galt, sondern auch den Werken. Mann hat sich immer auch als aktiven Gegenspieler jenes Mannes betrachtet, dem er einen Essay widmete, der 1938 unter aufsehenerregender Überschrift erschien: „Bruder Hitler“. Thomas Mann sah ja tatsächlich eine Art Verwandtschaft zwischen sich und dem pathologischen Massenmörder Hitler. Was auf den ersten Blick absurd anmutet, war kühl kalkuliert und von großer Tragweite. Denn der zugrunde liegende Gedanke war nicht nur entscheidend für die Einschätzung des verbrecherischen Diktators, sondern er war entscheidend für die im Grunde bis heute virulente Frage, wie deutsch die Nazis waren. Anders gesagt: Beide, Adolf Hitler und Thomas Mann, erhoben den Anspruch, Deutschland zu verkörpern. Und Thomas Mann gestand dem Diktator indirekt zu, dass er und seine blutgierigen Helfer diesen Anspruch nicht gänzlich zu Unrecht erhoben. Was daraus folgt? Viel, sehr viel sogar, denn damit war die post festum so oft bemühte Erklärung, die Nazis seien ein „Betriebsunfall“ der deutschen Geschichte gewesen, von vornherein ausgeschlossen. „Bruder Hitler“ – diese plakative Formulierung bedeutete cum grano salis nichts anderes, als dass der Diktator und seine Schergen sich in gewissem Sinne sehr wohl auf das Deutschtum und dessen Traditionen berufen durften. Die Nazis kamen nicht aus dem Nichts, sie waren das andere, das – mit einer Mann‘ schen Formulierung – „fehlgegangene“ Deutschland. Ein solcher Befund stieß nicht nur auf Zustimmung. Es gehört im engsten Sinne zum Thema dieser Studie, wurde doch Thomas Mann damals von seinen Gegnern explizit als „der Amerikaner“ bezeichnet. Gemeint war dies als Beleidigung. Thomas Mann, und mit ihm viele andere Exilanten, sollte ein zweites Mal ausgegrenzt werden.




4. Jahrgang | Nummer 18 | 5. September 2011

Thomas Mann, der Amerikaner

von Helge Jürgs

Als Thomas Mann und seine Frau Katia am 21. Februar 1938 per Schiff in New York eintrafen, um fürderhin dort zu arbeiten, zu leben und – nicht zuletzt – gegen das für die deutsche Kultur so abgrundtiefe Desaster des deutschen Faschismus den intellektuellen Kampf zu führen, wurde er von Reporter gefragt, ob er das Exil als schwere Last empfinde. „Es ist schwer zu ertragen“, bestätigte Mann zunächst. Um fortzufahren: „Aber was es leichter macht, ist die Vergegenwärtigung der vergifteten Atmosphäre, die in Deutschland herrscht. Das macht es leichter, weil man in Wirklichkeit nichts verliert. Wo ich bin, ist Deutschland. Ich trage meine deutsche Kultur in mir. Ich lebe im Kontakt mit der Welt und ich betrachte mich selbst nicht als gefallenen Menschen.


“Diesem Selbstverständnis ist der große Literat treu geblieben. Schon im Schweizer Exils ab 1933, dem sich dann jene vierzehn Jahre anschlossen, in denen er Sicherheit ebenso wie Verbündete in den Vereinigten Staaten der Ära Roosevelts suchte und solange fand, bis der folgende Kalte Krieg ihn, der seit 1944 amerikanischer Staatsbürger war, zu einer Abwendung vom lange so verehrten überseeischen Heimstatt und 1952 zur neuerlichen Ansiedlung am Zürichsee veranlasste.


Bis zum Tode des verehrten Roosevelt nämlich hatte für Thomas Mann gegolten: „Mein Deutschtum ist in dem kosmopolitischen Universum, das Amerika heißt, am richtigsten untergebracht.“


Hans Rudolf Vaget, Mitherausgeber der großen kommentierten Frankfurter Ausgabe Thomas Manns, hat über den amerikanischen Lebensabschnitt des Literatur-Nobelpreisträgers nun ein für Verehrer Tomas Manns großartiges Buch vorgelegt. Prall gefüllt mit dem penibel dokumentierten Leben und Wirken Manns zunächst in Princeton, dann an der kalifornischen Küste von Pacific Palisades, natürlich inklusive der umfänglichen Lese- und Vortragsreisen quer durch das Riesenland und all jener publizistischen Leistungen, die Thomas Mann in den Dienst des antifaschistischen Kampfes stellte, wird hier das Bild eines Mannes gezeichnet, das der immer wieder gern gepflegten Mär vom ewig „Unpolitischen“ ein verdientes Grab bereitet.Vaget hat Manns Amerika in Schwerpunkte gegliedert, von der dem dortigen Exil vorausgehenden Annäherung an Amerika, über Manns Verhältnis zu Franklin D. Roosevelt und dessen Politik, über die Beziehung zu seiner großen Bewunderin und lebenswichtigen Gönnerin Agnes Meyer, über Manns Kontakte zu amerikanischen Universitäten oder auch zur Hollywood-Szenerie bis hin zur antikommunistischen Hexenjagd unter Roosevelts Nachfolger Truman und zur politischen Kultur Nachkriegsdeutschlands.


Auch und vielleicht gerade für denjenigen, der Thomas Manns so aufschlussreichen Tagebücher kennt und schätzt, ist dieses Buch nahezu ein Muss, da es das Bild der knappen täglichen Notate zu einer Gesamtschau erweitert, die den Respekt vor dem großen Schriftsteller und eben auch kämpferischen Humanisten nur noch weiter bestärkt.

Hans Rudolf Vaget: Thomas Mann, der Amerikaner. Leben und Werk im amerikanischen Exil 1938 – 1952, S. Fischer Verlag, Frankfurt a. Main 2011, 584 Seiten, 24,95 Euro

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