Palästina in israelischen Schulbüchern
Veröffentlicht am 31. Januar 2021 von Gastbeitrag
von Willy Parlmeyer Miko Peled und Nurit Peled-Elhanan sind Sohn und Tochter von Mattityahu Peled, einem hochdekorierten General in Israels frühen Kriegen. In seinem Buch Der Sohn des Generals beschreibt Miko Peled, wie sein Vater mit anderen Generälen 1967 die Regierung zum Angriff auf Ägypten drängt und die militärische Laufbahn aufgibt, als er realisiert, dass der Sieg nicht zum Friedensschluss genutzt wird. Nurit Peled-Elhanan (* 1949) hat 2012 das Buch Palestine in Israeli School Books – Ideology and Propaganda in Education veröffentlicht. Es liegt nun auf deutsch vor unter dem Titel Palästina in israelischen Schulbüchern. Die Autorin ist Professorin für Literaturwissenschaft und Pädagogik an der Hebräischen Universität Jerusalem. Sie sagt über ihre Studie, diese sei „nicht von einer Historikerin, sondern von einer Diskursanalytikerin verfasst.“ Sie untersuche nicht die Richtigkeit der in den Schulbüchern berichteten Fakten, sondern ihren Diskurs, „besonders ihre Rhetorik und die semiotischen Instrumente, mit denen sie ihre Aussagen übermitteln.“ Es handelt sich um Schulbuchforschung, und diese weiß, dass Schulbücher wirksame Instrumente sind, die dem Staat dazu dienen, nationale und persönliche Identitäten zu formen. Am Schluss des Buches macht die Autorin dies drastisch klar, indem sie Max Weber paraphrasiert, an der Basis des modernen Staates befinde sich nicht der Scharfrichter, sondern der Lehrer, denn das Monopol über die rechtmäßige Bildung sei wichtiger als das Monopol über die rechtmäßige Gewalt. Besondere Brisanz erhält diese Macht der Schulbücher in Israel, weil sie „für Jugendliche geschrieben (werden), die mit 18 Jahren als Wehrpflichtige zum Militärdienst eingezogen werden und die israelische Politik der Eroberung in den palästinensischen Gebieten vollziehen.“ (S. 8) Dieser Aspekt hat sicher zur Auswahl der Fächer beigetragen, auf die sich ihre Untersuchung konzentriert, nämlich Geschichte, Erdkunde und Staatsbürgerkunde, und er führt auch zu der Frage, auf die sie ihre Untersuchung fokussiert: Wie werden Palästina und die Palästinenser in diesen Schulbüchern dargestellt? Dies erfasst aber noch nicht, wofür Schulbücher in Israel verwendet werden. Nationale Identität bezieht sich hier nicht auf die Gesamtheit der Bürger, sondern auf die eine Gruppe, der es als einziger zusteht, in Israel ein nationales Projekt zu verfolgen. So hat es das Nationalstaatsgesetz von 2018 inzwischen verfügt. Diese jüdische Ethno-Nation beschreibt Peled-Elhanan als „ein Völkergemisch aus aller Welt mit nahezu keinen Gemeinsamkeiten. (… ) im ständige(n) Streit über die Frage ‚Wer ist ein Jude’“ (S. 26). Neben der dominanten Gruppe, die es also zu homogenisieren gilt, gibt es eine Gruppe minderer Art, die aber, anders als die dominante Gruppe, deutliche Spuren kontinuierlichen Lebens im Lande hinterlassen hat. Es gilt also nicht nur, diese Spuren in der Landschaft zu tilgen, sondern sie auch in der Erinnerung auszulöschen. Palästinensische Geschichte wird also nicht einmal in Israels arabischen Schulen gelehrt, Trauerbekundungen in der Öffentlichkeit, die Nakba betreffend, verbietet ein einschlägiges israelisches Gesetz. Das ist klassische Repression. Die kompliziertere Anstrengung ist aber, die dominante Gruppe zu homogenisieren und – da sie schon keine gemeinsame Geschichte hat – ihr ein ‚kollektives Gedächtnis’ zu erschaffen. Hier trifft Peled-Elhanan eine wesentliche Unterscheidung, zwischen wissenschaftlicher Beschäftigung mit Geschichte und was über Geschichte in Schulbüchern steht. Es geht in den Schulbüchern nicht um Geschichte, nicht um das Verständnis der Vergangenheit, „sondern die Konstruktion einer ‚zweckdienlichen Vergangenheit’, die ‚unseren’ Weg rechtfertigt und ‚deren’ Weg diskriminiert.“ (S. 15) Dies erlaube, „die Vergangenheit zu manipulieren mit dem Ziel, die Gegenwart und die Zukunft zu beeinflussen“ (S. 17) oder „ein Bild der Vergangenheit zu zeichnen, das auf der subjektiven Sicht der Gegenwart basiert.“ (S. 24). Ein zweites Element der notwendigen Homogenisierung der dominanten Gruppe ist die Konstruktion ihrer Kontinuität im Land, ein Kontinuitätskult. „Der Held in diesem Narrativ ist der ‚neue Jude’, der zurückgekehrt ist, um sein Heimatland zurückzufordern und es von den arabischen Invasoren zu befreien.“ (S. 18). Hier greift die reguläre Erziehung (wie auch die Archäologie) auf die Bibel als verbindliche historische Quelle zurück. Diese Konstruktion von Kontinuität führt nicht nur zur Löschung von 2000 Jahren jüdischer Diaspora-Geschichte, sondern auch zur Leugnung von 2000 Jahren Zivilisation im Land, deren Spuren dann getilgt werden. (Dies ist das Thema des 2. Kapitels Geographie der Feindseligkeit und Exklusion – Eine multimodale Analyse.) Das Land wartete auf seine Erlösung durch seine Bewahrer, während es von unbedeutenden Eindringlingen bevölkert war. Die Funktion von Schulbüchern für die Schaffung nationaler Kollektive, im israelischen Fall einer dominanten ethnischen Gruppe, diskutiert Peled-Elhanan in einem umfangreichen Einführungskapitel unter dem Titel Eine Jüdische Ethnokratie im Nahen Osten. Erst dann geht sie im 1. Kapitel auf die Darstellung der Palästinenser ein, der Focus ihres Buches. Natürlich ist dieses Kapitel eine Darstellung aller erdenklichen Formen des Rassismus, wie könnte es anders sein bei der vom Zionismus vorausgesetzten und institutionalisierten jüdischen Suprematie, wie sie in der Einführung geschildert wird. Peled-Elhanan m mit ihrem Einführungskapitel klar: Unter der Ethnokratie sind nichtrassistische Schulbücher gar nicht denkbar, und der Rassismus erscheint darum als sekundär, als instrumentell. Er ist notwendige Folge der indoktrinierten Notwendigkeit, das Land jüdisch zu machen, es qua Geburtsrecht allein besitzen zu dürfen, ohne Araber, zur eigenen Sicherheit stets in der Mehrheit zu sein und mit dem Schwert leben zu müssen und was der zionistischen Maximen noch sein mögen. Er ist keine Bloßstellung und kann seine Träger nicht beschämen. Auf die vielfältigen, oft bizarren Ausprägungen dieses Rassismus kann hier nicht eingegangen werden, nur eine sei erwähnt, um zu zeigen, dass dieser Rassismus nicht aus individuellen Ressentiments hervorgeht, sondern aus einer rassistischen Weltsicht. So betonen einige der untersuchten Schulbuchtexte „Israels Bemühungen (…), die Welt davon zu überzeugen, dass (das Flüchtlings-)problem in den arabischen Ländern und nicht in Israel gelöst werden sollte, ‚welches die jüdischen Flüchtlinge aufgenommen hat, die aus den arabischen Ländern vertrieben wurden.’“ (S. 104) Hier wird aus der ethnischen Säuberung ein Bevölkerungsaustausch, eine Option, machbar und beherrschbar, wenn sich nur alle an die rassistische Regel halten. Der eigene, tribalistische Wahn der Rassereinheit wird zur Maxime, die Idee der Menschheit geht darin unter, Mitleid gibt es nur für Volksgenossen. An der Katastrophe der Teilung Indiens ist dieses Denken offenbar nicht irre geworden. Was die deutschen Leser*innen sicher erstaunen wird, ist der Umstand, dass in den untersuchten Schulbüchern aus den Vertreibungen und selbst aus den Massakern gar kein Hehl gemacht wird. Derer drei werden in den Schulbüchern erörtert: Das Deir Yassin-Massaker von 1948, das Qibya-Massaker von 1953 und das Kaffer Kassem-Massaker von 1956. Schon deren Erwähnung würde ja hierzulande den aufgeregten Ruf nach dem sofortigen Einschreiten des Antisemitismusbeauftragten provozieren. Peled-Elhanan untersucht im 4. Kapitel pedantisch die Legitimationsprozesse in Berichten über Massaker. Denn, ja, die Schüler sind aufgefordert, sie sehr nüchtern nach Nützlichkeit für Israel und eine jüdische Mehrheit und deren Schaffung zu bilanzieren. Und es sei gerade in Deutschland darauf hingewiesen, dass das Judentum selbst Immunisierung gegen die tribalistischen Anmaßungen des Zionismus bereithält. Peled-Elhanan zitiert Yeshayahu Leibovitz aus seinem Artikel „Nach Qibya“: „Da der Zionismus den Anspruch der Heiligkeit auf so weltliche Dinge wie den Staat, das Land und die Streitkräfte übertragen hat, hat er sie mit absoluter moralischer Legitimität ausgestattet. Wenn die Menschen und ihre Sicherheit, wenn das Heimatland und sein Friede das Heiligste vom Heiligen ist und wenn das Schwert Israels sein Fels ist – dann ist Qibya auch möglich und zulässig (…) das ist die schreckliche Strafe für die schwere Sünde, den Namen Gottes missbräuchlich in Anspruch zu nehmen. (S. 198)“ Mit diesem Bezug auf den Zionismus schließt sie an das Einführungskapitel an, in dessen Licht die folgenden vier Kapitel gelesen werden müssen. Sie alle enthüllen Rassismus, der aber angesichts postulierter jüdisch-zionistischer Suprematie, wie die Einführung sie vorstellt, nicht erstaunen darf. Peled-Elhanan zitiert den Oberrabiner Mordechai Elyahu, der vor dem Hintergrund eines Mordanschlags auf religiöse Kollegiaten unter Hinzuziehung der Gemara die Racheoptionen erörtert: „Alles, was sie (Nichtjuden den Juden) nehmen, müssen sie doppelt zurückzahlen. Aber in diesem Fall geht das nicht, da 1000 Araber nicht so viel wert sind wie 1 jüdischer Student.“ (Fußnote 95) Miko Peled schildert in seinem Buch die dramatischen Ereignisse im Hause seiner Schwester Nurit Peled-Elhanan, als 1997 deren dreizehnjährige Tochter Smadar Opfer eines Selbstmordattentäters aus dem Westjordanland wurde. Das ganze Land erwartete ihren Schrei nach Rache. Die Brüder der Ermordeten, die zu dem Zeitpunkt als Soldaten im Libanon standen, wurden von ihren Kommandeuren aufgefordert, ihre Schwester dort zu rächen, an Nichtjuden eben. Sie verweigerten sich dieser Aufforderung ebenso wie ihre Schwester, die die Versuche Netanjahus, ihnen zu kondolieren, zurückwies. Der Verfasser dieser Rezension bewundert die Autorin natürlich für ihr Buch, vor allem aber dafür, dass sie über den Verlust ihrer Tochter nicht den Verstand verloren, sondern diesen geschärft hat für die Auffindung der Ursachen dafür, dass immer wieder Menschen die Hand gegen andere erheben. Verlag Stiftung Hirschler, Otterstadt 2021, 380 S., 28 €. ISBN 978-3-9818916-7-6.
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