Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!
Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen. (..) In den alten Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen. (..)
Die Kräfte waren gering. Das Ziel
Lag in großer Ferne
Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich
Kaum zu erreichen. (..)
Analyse
Das Gedicht "An die Nachgeborenen" (1934 - 1938; Epoche der Exilliteratur) besteht aus 3 großen Abschnitten, die mit römischen Zahlen nummeriert sind. Diese enthalten 5 bzw. 4 Strophen mit einer unterschiedlichen Anzahl an Versen. Abschnitt I ist durchweg im Präsens, II im Präteritum und III vorwiegend im Futur gehalten.Weder ein Reimschema noch ein Versmaß lassen sich ausmachen - es handelt sich bei dem Werk um "freie Prosa".
Hintergrund
Das politische Gedicht gehört zum Zyklus der Svendborger Gedichte (benannt nach der gleichnamigen Ortschaft in Dänemark) und wurde am 15. Juni 1939 in "Die neue Weltbühne" (Paris) veröffentlicht (siehe auch: Was keiner wagt).
Bertolt Brecht (1898 - 1956) floh 1933 mit seiner Familie von Prag nach Wien, dann in die Schweiz und schließlich nach Dänemark. Als Dänemark 1940 von den Deutschen besetzt wurde, ging die Flucht über Finnland, und dann via Moskau im Transsibirischen-Express nach Wladiwostok weiter. Vom Osten der UdSSR setzte er mit dem Schiff nach Kalifornien über, wo er in Santa Monica in der Nähe von Los Angeles lebte.
In Amerika veröffentlichte er auch „Galileo Galilei“ worauf er 1947 eine Vorladung vor das „Komitee für unamerikanische Tätigkeit“ erhielt. Dies war der Anlass für die Rückkehr nach Ost-Berlin (via New York, Paris, Zürich, Prag) wo er im Herbst 1949 mit Helene Weigel das Berliner Ensemble gründete. Er starb am 14. August 1956 im Krankenhaus „Charité“ an einem Herzinfarkt.
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